Ponsard und das
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die Gediegeuheit der Formt anzurechnen; man rühme das emsige Studium
der antiken Vorbilder, wie der strengen Schule der französischen Drama:
tiker, die ja als gleich musterhaft galt. Läßt sich indessen aus der neuen.
Tragödie diese noch mehr herausfiihlen, als jene: so ist doch auch der
Einfluß der modernen Anschauung merklich, welcher eben die Ron1antik
Bahn gebrochen hatte, und sicher ist gerade ihm ein nicht geringer Theil
des Erfolges zuzuschreiben. An die Stelle der typischen Figuren des klafft;
schen Dra1nas suchte Ponsard individuelle Charakterc zu sehen, deren Re;
den und Thau das Gepräge ihrer eigenen Ideen und Empfindungen trägt;
zugleich will er durch den Lokalton der Sittenschilderung nnd die realistische
Behandlung der vertraulichen Scenen, in denen das dramatische Pathos
mehr zurücktritt, den antiken Stoff unserer Phantasie nahe bringen. Auch
fügte er, obtvol er sich imsGanzen ziemlich treu an die Handlung und
die Personen hielt, wie sie von Livius überliefert sind, doch einzelne Züge
hinzu, die weit mehr im Charakter der modernen Gefühlsweise, als der
antiken sind. Mehr übrigens noch als er nahmen seine n5enigen Nachfolger
von den romantischen Neuerungen in die Darstellung klasfischer Stoffe auf,
wie denn z. B. in der Valeria Von Magnet und Lacroix, die t851 mit
Beifall aufgeführt wurde, die Messalina als die tugendhafte Gattin des
Elaudius erscheint, dagegen ihre Laster auf ihre cfingirteJ Zwillingsschwester
Lycisca geschoben werden: daher ein Spiel von Ränken und tragisd7en
Verwechselnngen, dem die Rachel durch die Virtnosität, mit der sie zugleich
beide kontrastirende Rollen spielte, feinen eigentlichen Reiz gab. Man
sieht, das Jnteresse am klassischen Drama war nicht mehr rein und mit
andären Neigungen versetzt. Auch wendete sich Ponsard selber in seinen
späteren Stücken lAgnes de Meranie, Eharlotte CordahJ dem Mittelalter
und der neuesten Zeit zu. Hier ging er gleichfalls, im Gegensatz zu der
bunten und anfgeregten Mannigfaltigkeit der Romantiker, auf die gehaltene
Darstellung einfacher Empfindungen und Konflikte ans nach dem überlieferi
ten Kanon der dramatischen Kunst; ein Zug, in dem sich wieder die Ver:
tvandschaft mit jener Richtung der modernen sMalerei zeigt, die ebenfalls
Stoffe der. neueren Geschichte ans einem ähnlichen Gesichtspunkte behan:
delte. Allein mit diesen Versuchen gewann Ponsard nicht denselben Bei:
fall, wie mit seiner Lncretia. Noch ftih1barer als in dieser war in fetten
der Mangel an einer ursprünglichen die Vorgänge und Eharaktere tiefer
verknüpfenden Kraft der Leidenschaft; nahm man aber bei der antiken
Fabel dieses Uebermaß von klassisiher Kiihle mit in den Kauf, so fand man