156
Buch.
Kapitel.
Das Sittenksild der neuen Zeit.
,,mein Kind, nun werden sie deinem Vater den Kopf abschlagent7; das iß
durch eine Geberde ausgedrückt, die natürlich den Vorgang nur andeuten
kann, nnd so bildet auch hier, wo es doch auf die Empfindung des Bei
schauers abgesehen ist, das Gedränge mit den n1alerischen Kulturformeu
und Kostiimen die Hauptsache. Eine änßerliche malerifche Wirkung ist denn
auch so ziemlich Alles, was Jacquand anstrebt und durch das Vermischen
alter und neuer Manier, zu der er sich nicht erheben kann, nothdürftig
erreicht. Im Ausdruck bleibt er matt nnd gezwungen, in der Bewegung
noch in der Steisheit der alten Schule befangen.
Auch in der Schilderung des bürgerlichen Lebens war die Lhoner
Schule der Verbote einer neuen rasch sich ausbreitenden Gattung: nur
daßsdiese, das Fach weiter ansbildend, sich nicht mehr mit der äußerlichen
Erscheinung dieser lleinen Welt bcgniigte, sondern durch die Darstellung
ihrer Leiden nnd Konflikte, durch den Ausdruck einer tieferen Empfindung
auf die Seele des Beschauers zu wirken suchte. Man fühlte die Leere und
Bet1vaschenheit, welche durch den plötzlichen Bruch mit der vorangegangenen
Gesittung in die Erscheinung des Volkslebens gekommen war, und dachte
diesen Mangel durch einen richtenden Inhalt, durch die Kämpfe und Schick:
sale der bürgerlichen Existenz zu ersetzen. Die Leidenschaften nnd Wechsel:
fälle, welche bisweilen den stillen Kreis der Familie von Grund aus auf;
wühlen, traten nun um so mehr in den Vordergrund, als das thatenlose
Regi1nent der Bourboneu die Aufregung des öffentlichen Lebens vermissen
ließ, dagegen die Entwickelung des persönlichen Lebens, die unserem Jahr:
hundert eigenthiimlich ist, begünstigte. Doch beschränkten sich hierbei die
Maler fast durchgängig auf die niederen Stände, in denen sie doch noch
mehr Natur nnd günstigere Formen fanden, als in den höheren. So nahm
diese Kunst das Sittenbild wieder auf, wie es Grenze am Ende des achti
zehnten Jahrhunderts gelassen hatte; er war ja der Borläufer einer neuen
Zeit gewesen is. S. 18I,und, so lag diese Erneuerung in dem Lauf der
Dinge begründet. Nur ging jeHt, was der vereinzelte Griff eines großen
Talentes gewesen, in die Breite der allgemeinen Anschauung und in die
vielen Hände einer Zahl minder bedentender Künstler über. Das stille
Glück nnd Leid des Familienlebens, das in der Salonatmosphiire des achts
zehnten Jahrhunderts nicht gut. hatte aufkommen können, trieb jetzt mit
dem Hervortreten des Biirgerthums nach allen Seiten seine Sprößlinge.
Daher kehrte auch die Verwandtschaft, welche die Malerei von Grenze zur
Poesie gehabt hatte, nun in anderer, weit umsassendever Weise wieder.