und
Kunst
Moral.
207
totzuschlagen. Heutzutage fängt das Glück und das Un:
glück der meisten Menschen erst da an, wo die zehn Gebote
aufhören. Eine gesteigerte Kultur hat den groben Grundriß
der Gesellschaft in die zartesten Schattirungen aufgelöst.
Die Beziehungen zwischen Mann und Weib, zwischen
Eltern und Kind, zwischen Herr und Diener; die Kämpfe
zwischen Regierung und Volk, zwischen Besitz. und Arbeit,
zwischen Gesamtheit und Individuum; die Gegensäxze
zwischen Beruf und Neigung, zwischen Amt und Gesin:
nung, zwischen Vorteil und Ueberzeugung kurz, alle
menschlichen Verhältnisse haben sich so vielseitig und so
feinspurig entwickelt, das; die Fragen von Recht und Pflicht
in tausendfältigen Formen wiederkehren. Und nun kommt
dieses arm: und triibselige Christentum, das in achtzehn:
hundert Jahren nichts gelernt hat als die Bibel auswendig,
das um fünfzig Generationen menschlicher Kultur zurück
ist, und verlangt, daß wir uns an seinem blutrünstigen
Jdealismus erbauen, bei seiner überweltlichen Jgnoranz
Rats erholen sollen2 Welche Zumutungl Was will es
denn mit seinem langweiligen Olymp von Märtyrern
und Fanatikern, wovon der eine immer der Abklatsch
des andern ist und Dinge idealisirt, die für die heutigen
Zustände jede Bedeutung verloren haben2 Wenn auch
die christliche Moral ebenso heilsam wäre, als sie verderblich
ist, sie würde unserem vielbewegten und vielgestaltigen
Leben doch machtlos gegenüberstehen. Um die zahllosen
Konflikte eines solchen Daseins fühlend und denkend zu
bewältigen, dazu reicht weder das Glaubensbekenntnis