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Freie
Studien.
der sittlichen Ziele von der Religion für unbrauchbar
erklärt war2 Nur ein Reich kann es hinfort für den
Gläubigen geben das himmlische Jerusalem; und dort
sich ein Heimatrecht zu erwerben, muß die einzige Bes
miihung des Gerechten fein. Aber kaum hat der Bürger
seine Pflichten gegen den Staat vergessen, so vergißt auch
der Mensch seine Pflichten gegen den Menschen. Der
Vater, statt für die Zukunft seiner Kinder zu sorgen, ist
nur noch auf die eigene bedacht und vermocht sein Gut
der Kirche, um, versehen mit der Einlaßkarte des päpst:
lichen Segens, vor dem zornmiitigen Schlüsselpeter des
Himmelreichs zu erscheinen; der Sohn und der Gatte,
statt seine alten Eltern und sein junges Weib zu pflegen,
verläßt Haus und Hof und zieht nach Palästina, um sich
mit einer Anzahl abgehackter Heidenköpfe eine Staffel
im Himmel zu kaufen; die Jungfrau, statt als Gattin
Kinder zu gebären und zu erziehen, wie das ihres Amtes
ist, läuft ins Kloster und vermählt sich dem himmlischen
Bräutigam, um durch hysterisches Gekrächze die ewige
Seligkeit zu erwerben. Was liegt an Staat und Mensch:
heit, an Volk und Familie, was an Liebe und Freunds
fchaft, an Wissen und Vildung2 Mag doch alles Schöne
und Große auf Erden zu Grunde gehen, wenn nur der
sterbliche Tropf feine nnsterbliche Seele rettetI Wie bei
einem Schiffbruch, wo der eine den andern ins Wasser
stößt, um sich ins Trockene zu bringen, droht die selbstische
Brutalität der Todesnot jede edle Regung zu ersticken;
und statt der vielberühmten Nächstenliebe entwickelt sich