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Tag und in leisathmender Nacht, ein unaufhaltsa:
mes Vorwärts und ein unauslöschliches Leuchten und
ein unaufhörliches Flüstern und, wann immer die
Sonne scheint, ein unermeßliches Farbenspiel aus
überirdischem Meeresgrün, Ultramarin, Veilchenblau,
Enzianblau; ein Farbenschmelz, wie ihn die Sonne aus
bemalten Scheiben lockt: der Alpenfee gesponnene
Locken, die sie für und für herabwirft aus ihren
Firnen.
Dazu die unschuldige Art, wie der Fluß innehält,
um sich am Ufer in jedem Winkelchen umzusehn. Große
Ströme scheinen immer zu grollen, und große Flüsse
sind zumeist tückisch; die Rhone jedoch kennt weder
Tücke, noch Groll. Der Bergstrom scheint zu froh:
locken, daß er den ruhigen Schlaf des Sees hinter
sich und sein Selbst wieder zurückgewonnen hat, und
er rast, weil er das wilde Rennen liebt, und dennoch
möchte er gerne zurückkehren und bleiben. Da sind
kleine Wellen, die den lieben langen Tag tanzen,
als sähe Perdita zu, um es zu lernen; da sind Stellen
im Strom, die wie Lämmlein hüpfen und wie Gemsen
springen und wirbelnde Wasferlacl1en, die den Sonnen:
fchein in sich hinein schütteln, daß sie gerieft oben
werden, wie der Krystallsand unten; da sind Ström:
ungen, die aus dem Lichte goldene Flechten wirken
und Fäden wie emaillirte Türkife einspinnen; da
sind Stromtheile, die sicherlich jenseits des Sees