Tintoretto.
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war ein Thema für Tintoretto. Kopfüber stürzt der Heilige
herab, um in mächtiger Bewegung den Arm des Henkers zu
packen. Magischer Lichtglanz strömt von ihm aus, wirft
seine Strahlen auf Einzelnes, läßt anderes in tiefem Schatten.
Auch eine symbolische Deutung liegt nahe. Die Päpste selbst
in ihrem freigeistigen Heidentum waren die Henker der Kirche.
Die Markusrepublik greift ein, die Kirche zu retten.
Dann die Fresken in der Kirche der Madonna del17Orto:
die Anbetung des goldenen Kalbes und das jüngste Gericht.
Also ebenfalls der Geist der Gegenreformation, der nach einer
Zeit der Abgötterei auf die Schrecken des jüngsten Tages
hinweist. In wilder Bewegung, als sei schon zu lange ges
säumt worden, stürzen die Engel auf Moses zu, ihm die
Geietzestafeln zu reichen. Alle tektonischen Gesetze sind aufs
gehoben. Da Wolken und gähnende Leere, dort wild zu:
sammengebalIte Massen. Beim Tag des Weltgerichts ist die
ganze Natur in Aufruhr. Das Meer tritt aus den Ufern
und braust als totbringende Flut dahin. Wenige nur von
den Auferstandenen, die zum Himmel streben, finden Gnade.
Engel schleudern He in die Tiefe zurück. Denn die ganze
Welt hatte den Götzen des Heidentums geopfert, das An:
recht auf Erlösung verloren.
Die 56 Bilder der Scuola di Sau Rocco zeigen die
ganze Größe und Kühnheit des dämonischen Künstlers. Hatte
die Renaissance die Darstellung physischen Leidens vermieden,
selbst über Märtyrerbilder lächelnde Ganymedstimmung ge:
breitet, so hat das Bild Tintorettos, wie der heilige Rochus
Kranke heilt, schon jenen grausigen Naturalis1nus, den die
Spanier später in solchen Darstellungen zeigen. Die Ver:
kündigung, die auf dem Bild Veroneses von Maria wie eine
gleichgültige Stadtneuigkeit entgegengenon1men wird, giebt er