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Die germanische Malerei des Reformationszeitalters.
Härchen, jedes Fältchen und jede Ader wird mit Urkunden:
mäßiger Treue fixiert. Während in Holbei11s Zeichnu11gen
die leichten Federstriche wie Pinselzüge hingcseSt sind, malt
Dürer, als mache er Federzüge mit dem Pinsel. Während
Holbein in großen, sicheren Zügen das Lebensvolle der Er:
scheinung packt, kommt Dürer nicht über mühfames Kläubeln
hinaus, sucht durch Addieren kleiner Einzelziffern die Summe
von Charakter festzustellen, die in einem Kopfe liegt. Aber
was ihm an Leichtigkeit der Mache fehlt, erseht er durch
psychische Größe. In seinem eigenen Kopf war mehr als
in dem des forschen, brutalen Holbein enthalten. Darum
wirken Holbeins Bildnisse bei aller Geschicklichkeit der Mache
doch wie Photographien neben den geistglühenden Charakter:
köpfen Dürers. Dort der kalte Analhtiker, der das Aeußere
des Menschen mit der unfehlbaren Sicherheit der 0amera
obsoura spiegelt. Hier der Grübler und Denker, der denen,
die ihm zu Bildnissen sitzen, etwas von seiner eigenen Fausts
natur leiht.
Teils psychologische, teils formale Probleme haben ihn
bei seinen religiösen Bildern beherrscht, und daß er überhaupt
von solchen Problemen ausging, hebt ihn schon aus seiner
Umgebung heraus. Alle, die vor ihm in Deutschland thätig
waren, fühlten sich als Handwerker, erledigten Bestellungen
so gut es ging, schlecht und recht, ohne höheren Ehrgeiz.
Dürer als erster hebt die Kunst über den Handwerksbetrieb
empor und fühlt sich als Künstler, schafft nicht, weil man
ihm Aufträge giebt, sondern weil eine Kraft in ihm nach
Ausdruck drängt, steckt mit ganzerVSeele in seinen Werken,
hat das Gefühl für, die Ewigkeit zu arbeiten. Italien hatte