des Daseins wirken auch die polaren Gegensätzlichkeiten des fundamentalen
Prinzips. Dessen Vorherrschaft steht gleichwohl außer Frage. S0 daß man
für die Masse den Sprachgebrauch noch stärker modernisieren müßte, wenn
man den wirklichen Verhältnissen sich ganz worthaft einfügen wollte, und
etwa sagen müßte: daß sich die Masse allererst von willenshaften Ziel-
setzungen zusammenfügen läßt; denn sie hat zur Voraussetzung die Viel-
fältigkeit der individuellen Einstellungen des Lebenswillens. Das Gegen-
sätzliche aber läßt sich bei den primitiven Gesellschaften konstatieren:
die Rassenseele wirkt sich in den Individuen aus, ist ihre Vorbedingung,
Basis und zugleich Fessel, umrahmende Einfassung ihres selbständig erst
beginnenden Daseins.
Verhält es sich nun so, daß das Leben der Primitivität von statischen,
das Dasein der Zivilisation von dynamischen Kräften durchtränkt und ge-
trieben wird, so ist damit zugleich die mehr oder minder große Wichtigkeit
der ästhetischen Funktion innerhalb jener beiden Gesamtkomplexe des
Lebens angedeutet. Denn ein Kunstwerk die reinste Kristallisation des
Ästhetischen ist doch etwas Ruhendes, in sich Verfestigtes. Man mag
noch so sehr den ausdrucksvollen Schwung der Linien, das spannungsvolle
Verhältnis der Farbigkeit preisen, dem Profanen schwingen die Linien
doch nicht, ihm bleiben die Farben und Töne ruhig in- und nebeneinander.
Nur in der inneren Vision des Kundigen und Konzentrierten entfaltet sich
blütengleich das Blätterwerk der Gemälde, stürmen personhaft die Flächen
und Kuben der Skulpturen aufeinander ein. Sicherlich erschaut dieser Ein-
geweihte die tiefere Wahrheit. Und doch hat der andere in gewissem Sinne
recht: die eigene Aktivität des konzentrierten Betrachters belebtedie Kunst-
werke mit der ganzen Magie ihrer Einfühlungskraft. Die grundlegenden
Verhältnisse des Werks aber bleiben in ihren Konstellationen erhalten:
gleichförmigbleibt die Entfernung von der Spitze der Pyramide bis zu ihrer
Basis. Wohl ist im Gemälde eine größere Variabilität anscheinend möglich,
da die Empfindung für den Ausdruck der Ferne etwa durch eine grüne
Farbigkeit bei verschiedenen Beobachtern zu wechseln scheint, aber auch
hier ist der Spielraum der Veränderlichkeit gering in seinem Ausmaß.
So drängt alle Überlegung dahin, in der ästhetischen Funktion etwas
Ruhendes, Beruhigendes, eine zur Formulierung einer verfestigten Verhältnis-
fügung hinstrebendeMacht zu sehen. Es muß sich mit logischer Notwendig-
keit die Folgerung ergeben, daß auch im Verhältnis des Menschen zum
Kunstwerke diejenige seelische Grundkraft zur Mitwirkung in allererster
Linie aufgerufen wird, die an sich ruhevoll und das Ruhige als Ruhiges an-
erkennend ist: das Gefühl. Ein Kunstwerk ist wesentlich Form gewordenes
Gefühl. Die anderen Tendenzen des Seelischen sind zweifellos auch mit-
tätig; der Verstand ordnet die Symbole der Gefühle in irgendeinem Ein-
verständnis mit der objektiven Wirklichkeit, der Wille projiziert das"
Innenleben aus seinem Bezirke der Vision hinaus in "das Getriebe der