bleibt, wenn man von der Einwohnerzahl Deutschlands die bessere
Gesellschaft, den Mittelstand, die Beamten und eventuell auch noch
die gelernten Arbeiter abzieht. Es bleibt dann eine Menschenschicht
zurück, die im großen Menschensiebe durch die Maschen Besitz,
Rang, Würden, Titel, Konnexion und Gehalt glatt hindurchfällt,
also eine wertlose Verbindung. Diese sogenannte Masse ist wie
ein weiter Sumpf, aus dem kleine Rinnsale abtropfen und den
Anschluß an das freie Feld, den luß, das Treiben der geschäf-
tigen Welt, gewinnen, und in den gleichzeitig immer von neuem
unterirdische Quellen münden. Es fließt ab und fließt zu, der
Sumpf steht und bleibt.
So lösen sich aus der Masse schon die Ladenmädchen, die sich
vom Dienstmädchen selbstbewußt abheben, die Tippiräuleins, die
auf der Fahrt in das Bureau ihre Ullstein-Romane lesen, die sie
in das ersehnte Leben der Gesellschaft einweihen, und so fallen
auf der anderen Seite getäuschte Streber, entgleiste Kinder, hoff-
nungslose Studenten und angewiderte Schauspieler in sie zurück,
aber auch zur Erkenntnis der Einheit gelangte Kameraden. Er
hat sein eigenes Leben, der Sumpf, seine eigene Flora und Fauna,
er wird von der Welt gemieden aus Abneigung, aus Hochmut, aus
Furcht. Aber vielleicht stammt diese Abneigung deriwelt gegen
die Masse nur daher, daß an der Masse keine Schuld haftet . . .
so wie der Reiche den Bettler im Tiefsten haßt. Denn der Bettler
ist unschuldig . . . beschämt ihn. Seine bittenden Augen stellen
eine peinigende Frage.
Es bleibt den Künstlem gar nichts anderes übrig, als den
Änschluß an die Masse zu vollziehen. Daß die Künste aus eigener
Kraft nicht neu erstehen können, ist inzwischen doch wohl deutlich
geworden, und wenn die Einheit Volk nicht mehr besteht . . .
welchen anderen seiner Bestandteile denn wollten sie sich an-
schließen, falls sie die Masse verschmähen sollten? Etwa an
die „bessere Gesellschaft" Y Qder an den bürgerlichen Mittel-
stand? Oder an das Kapital?
Es kann keine Frage sein, daß einzig und allein die Masse des
Volkes noch ein ursprüngliches, befruchtendes, selbständiges Leben
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