Die Baukunst von 1250 bis 1400. 61
des ganzen böhmischen Bauwesens in seiner glänzendsten Epoche. Andere
Hauptwerke sind die Kirche zu Kolin, die Barbarakirche in Kuttenberg
und wahrscheinlich auch die Kirche des Chorherrenstiftes Karlshof ; Kaiser
Karl dem Großen gewidmet (mit verdeckter Anspielung auf den gegen-
wärtigen Kaiser); ist sie, in sehr allgemeiner Erinnerung an- das Münster
zu Aachen, ein achtseitiger Zentralbau; wie wir wissen, im gotischen
Stil eine Seltenheit. Peter Parler war das berühmteste Mitglied einer über
ganz Süddeutschland, bis nach Freiburg und Basel, verbreiteten Archi-
tektenfamilie, die gleichwohl nichts süddeutsch Besonderes an sich hatte,
vielmehr überall einer dialektfreien, abstrakten Schulgelehrsamkeit das
Wort redete. Daß Peter der Sohn eines Heinrich von Gmünd war, erklärt
in keiner Weise seinen Stil. Die Hauptquelle desselben wird doch wohl
der Kölner Dom gewesen sein. Der gefeierte Prager Hofarchitekt war ein
Doktrinär, bei zweifelloser Begabung und virtuosem Können fast ohne
persönliche Eigenschaften; er wußte noch einige neue Klügeleien beizu-
bringen, aber keine einzige schöpferische Idee, und war damit der rechte
Mann einer Generation, die das! Erreichte für so vollkommen hielt, daß
sie nach Weiterentwicklung nicht mehr trachtete.
Das
norddeutsche
Tiefland.
Ein von dem vorher betrachteten sehr verschiedenes Bild empfängt
uns hier obgleich eine Hauptvoraussetzung übereinstimmt: daß es
eine nicht bodenständige, eine von deutschen Einwanderern ohne Zutun
der alten Besitzer des Landesgeschaffene Kunst war. _In Böhmen das
Medium eine neutral-europäische, höfisch-akademischeHöhenluft ; in Nord-
deutschland die breitere, immerhin sich aristokratisch fühlende Masse der
eingewanderten Ritter und Bürger und als Ergebnis eine Kunst voll Mark und
Saft und Eigenwillen. Der Abstand ist dadurch, daß ein anderer Baustoff,
der Backstein, zur Anwendung kam, noch verschärft worden, Und das,
gilt nicht nur im Verhältnis zu Böhmen und Österreich, sondern auch zu
dem ganzen binnendeutschen Bauwesen. Eine zweite Quelle hat der be-
sondere Baucharakter des Koloniallandes in der psychischen Anlage und
der geschichtlichen Erziehung der Bauenden. Es waren Niederdeutsche.
Wir haben uns bisher über deren untergeordnete Rolle in der gotischen
Bewegung wundern müssen: hier nun ist die positive Ergänzung zu iinden.
Zumeist mit Einwanderern aus Westfalen und Niedersachsen waren die
Gebiete Neudeutschlands, in denen die Backsteingotik ihre charaktervollste
und großartigste Ausprägung erhielt, besiedelt worden. Und nun erwies
es sich, daß die meist in der romanischen Epoche so ruhmvoll bewährte
architektonische Begabung dieser Stämme ganz und gar nicht erloschen
war. In der Gotik französischer Observanz muß etwas gewesen sein, das
sie nicht warm werden ließ. Mit der Nötigung zur Umbildung 'der über-