38 Viertes Büch erstes Kapitel.
zeichnungen) bündig erwiesen. Im heutigen Uhrgeschoß erkennt man den
Bruch mit dem alten Entwurf, das Einsetzen des neuen, deutlich genug,
wenn auch die Tabernakel der Strebepfeiler und die umlaufende Brüstung
die Aufmerksamkeit geschickt davon ablenken. Das in überaus kühner
Konstruktion in acht freistehenden, nur oben durch die Fensterbögen ver-
spannten Pfeilern aufsteigende Oktogon ist nicht, wie der Unterbau, ge-
schichtet, sondern als einziges" Geschoß gedacht "F, jedoch differenziert
durch die an den Diagonalseiten sich aufrankenden Ecktürmchen. Mit
ihrer Hilfe ist für jeden wechselnden Standpunkt des Beschauers eine
leicht sich verändernde, aber immer in ungebrochenem Fluß bleibende
Umrißlinie gewonnen, wie sie seitdem das Ideal des gotischen Turmbaus
blieb. Die den oberen Abschluß überschneidenden Fensterwimperge und
Fialen unnkränzen schon den Fuß des Helms. Dieser ist in der Geschichte
der Gotik das erste vollkommen durchbrochene Steindach die kühnste
Unabhängigkeitserklärung der sich selbst das Gesetz gebenden Kunstform
vom Gebrauchszweck. Ein Dach, durch das überall das Himmelsblau
durchscheint, ist kein Dach mehr. Das wirkliche Dach liegt schon
am Fuße des Oktogons. Ein Gewölbe als Krönung desselben hätte nur
einen schädlichen Seitenschub ausgeübt. Jetzt ist es vornehmlich die
senkrechte Belastung durch den Helm, die die Pfeiler des Oktogons standfest
macht. Ein Datum für den Beginn der Tätigkeit des zweiten Meisters
ist nicht überliefert. Gewisse Details deuten darauf, daß die Ausführung
um 1330 noch in vollem Gange war. Die früher beliebte Hypothese, daß
Erwin von Straßburg den Entwurf geliefert habe, ist abzuweisen, wenn
es auch richtig ist, daß in dem Straßburger Riß B einige Ideen des Frei-
burger Turms vorausklingen. Außerdem besitzt Freiburg eineBettel-
ordenskirche (Abb. 62) von sehr charakteristischer Behandlung des Raumes
und der flachen (in heutiger Gestalt neuen) Decken, wie auch im Elsaß
und_ in Basel Barfüßer und Prediger durch stattliche Bauten vertreten
waren und zum Teil noch sind (Gebweiler, Colmar, Hagenau).
Die Pfalz, der Mittelrhein und Hessen. Der links-
rheinische Teil der Diözesen Speier und Worms ist an gotischen
Bauten verhältnismäßig arm. Die alten Bischofsstädte selbst hatten
ein Recht auf ihren in der romanischen Epoche erworbenen Lorbeeren
zu ruhen und machten davon Gebrauch. Was die Hochgotik hier
geschaffen hat, ist nicht viel und ohne allgemeinen Belang. Die Lieb-
frauenkirche in Worms ist ein schulgerecht nüchternes Bauwerk, das
Beste an ihr ist die doppeltürmige Fassade. Die feinste gotische Kirche
der Pfalz möchte die Stiftskirche zu Kaiserslautern sein, merkwürdiger-
weise eine Hallenkirche. Ebenso die Kirche in Meisenheim, die den
höchsten und reichsten Turm der linksrheinischen Lande besitzt. Mainz
unten
Wächterstube ist ein jüngerer
eingebaute
Zusatz.