zweites
122 Viertes Buch
Kapitel.
vereinzelt
Venedig.
Nordsee
und
andererseits
nach
"Verona
und
Es liegt in der Natur der Sache, daß die mobile Plastik den Wechsel-
fällen und Unbilden der Zeit leichter erliegt alsdie immobile, und in
besonderer Weise müssen wir von den Devotionsbildern annehmen,
daß nur ein _sehr kleiner Bruchteil ihres Bestandes auf uns gekommen
ist. Auch so noch ergänzt derselbe unsere Kenntnis vom 14. Jahrhundert
in bedeutsamer Weise. Es läßt sich im allgemeinen nicht anders sagen:
von etwa 1330 ab verfällt die Plastik einer Erstarrung im Konventiof
nellen. Die Bedeutung der neuauftretenden Andachtsbilder ist es, daß
sie ihr einen neuen, warmen Blutstrom zuführten. Er ging vom Inhalt,
von der religiösen Empfindung aus. Und damit stand die Kunst plötzlich
auch vor einem neuen Formproblem. Dasselbe war so beschaffen, daß sie
wohl hätte vor ihm erschrecken dürfen. Denn der gegebene Inhalt_das ist
das Merkwürdige an fast allen der neu auftauchenden Themen ver-
langte eine Gruppe. Nun ist aber die Gruppe etwas dem Urwesen der
plastischen Kunst Fremdes, weshalb die mittelalterliche Kunst sie in der
Rundplastik immer vermieden hatte, selbst dort, wo sie vom Gegen-
stand gefordert gewesen wäre, wie z. B. bei der Verkündigung oder der
Heimsuchung; sie" gab auch dann nur isolierte, formal beziehungslose
Figuren, selbst räumlich voneinander getrennt (z. B. im Dom von Regens-
burg Maria und der Engel Gabriel an zwei verschiedenen Pfeilern). Im
Schutzmantelbild geht die Erfindung durch. eine unwirklichkeits-
mäßige Anordnung der Schwierigkeit aus dem Wege. Das hl. Grab bringt
eine Zusammenstellung, keine Gruppe im höheren Sinn. Aber im Jo-
hannesbilde und Vesperbilde war kein Ausweichen möglich: es- waren
zwei ikontrastierte Gestalten e ein Wachender und ein Schläfer, eine
Lebende und ein Toter in nächste. körperliche Berührung und Ver-
schränkung zu bringen. Eine formale Aufgabe schwerster Art war hier
zu lösen ohne die leitende Hand der Tradition. Aber sie war ja nicht um
ihrer selbst willen gestellt, sondern weil ein heiliger Inhalt es verlangte.
Des Dilemmas zwischen Form und Ausdruck werden sich diese Künstler
nicht einmalisehr bewußt gewesen sein (wie Michelangelo es war, als er
das der italienischen Kunst fremde Thema aufgriff). Ihre Wahl war im
voraus getroffen. Nicht darauf kam es ihnen an, Dissonanzen.formal_
zu überwinden, sondern sie als ausdruckerzeugende Kräfteleinzustellen.
Wo es um'die reine Form geht, fühlt sich der Deutsche unsicher, sucht
er Erleuchtung durch eine fremde Autorität; selbständig bis zur Kühnheit
wird er, wo der Imperativ seines Innenlebens es heischt. Wie schnell-
hatten doch im Laufe des" I4. Jahrhunderts die erlernten Formen sich
abgenutzt. Um am Leben zu bleiben, muß die Kunst wahr sein,rWahrheit
heißt in ihr allererst Übereinstimmung mit dem inneren Leben. Daß