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94 Viertes Buch zweites Kapitel.
Versuch, aus dem konventionellen Schematismus sich zu befreien und
einer schlichteren Natürlichkeit nachzugehen, namentlich in den Köpfen,
sind diese Arbeiten doch ein nicht zu übersehendes Zeichen des Heran-
nahens neuer Probleme.
Die schwäbische Schule. Die Landschaften zwischen Scl1warz-
wald und Lech haben vor der Hochgotik eine Monumentalplastik nie
besessen. Als sie um 1330 vom Westen her importiert wurde, ging sie
sogleich beträchtlich in die Breite. Weshalb auch die Frühgotik den Bann
noch nicht hatte brechen können, erklärt sich daraus, daß in ihr die
Zisterzienser und Bettelorden die führende Stellung gehabt hatten,
beiden das Bild eine verbotene Frucht. Die schwäbische Monumental-
plastik wächst aus dem aufblühenden Städteleben heraus und tritt zuerst
an Bauten auf, denen die Straßburger Münsterfassade im Sinne lag. Wie
Paul Hartmann fein bemerkt, sind es durchweg Liebfrauenkirchen, wenn
man will, Luxusbauten, die sich die Städte erstmals nach eigenem Wunsch
und Geschmack errichten, neben ihrer alten Pfarrkirche und neben den
Klosterkirchen, in denen die Stadtgemeinde, obwohl in ihren eigenen
Mauern, doch nur zu Gaste gewesen war. Was wir hier vor uns haben, ist
eine anfänglich koloniale, dann provinzielle Kunst auf einem eben nur hand-
werklichen Niveau, in ihren Spitzen aber doch einigemal in die hohe
Kunst hineinreichend. Den Reigen eröffnet Rottweil mit der kleinen
Marienkapelle (heute in ihren Resten Kapellenturm genannt). Wie der
Baumeister, so waren der Bildhauermeister und seine besten Gesellen
aus elsässischen Werkstätten gekommen t; ob einige von ihnen Frank-
reich unmittelbar gekannt hatten, muß dahingestellt bleiben; zu den
ferneren Ausstrahlungen der französischen Hochgotik, den Stil aufs
Ganze angesehen, sind die Rottweiler Skulpturen in jedem Falle zu
rechnen. Sie waren von Anfang an im Bauplan vorgesehen, und zwar
nach einem sehr reichen Programm. Der Entwurf im ganzen spricht von
gereifter Erfahrung, die Ausführung ist sehr ungleich, zum größeren Teil
von schwacher Gehilfenhand. Der Hauptmeister hat eigenhändig nur
wenige Stücke gearbeitet; es scheint überhaupt, als ob er Rottweil bald
den Rücken gekehrt und die Weiterführung einem zweiten, ihm nicht eben-
bürtigen Meister überlassen habe. Auch dieser vermochte den vorgesehenen
großen Rahmen nicht zu füllen. Daß die ältesten Arbeiten die besten
sind und nach ihnen bald Verwilderung und schließlich vor der Zeit
Auflösung der Werkstatt eintrat, ist ein Vorgang, der auch an andern
Orten oft wiederkehrt als das unvermeidliche Schicksal einer solchen
nicht bodenständigen Kunstübung. Zuweilen wohl führte ein gutes
Glück einen Wandergesellen von überlegener Begabung herbei. Auch in
4' Vergleiche besonders die Wesfportale von
Breisach und das Prophetenportal in Straßburg.
Colmar (Abb. 247) und
in
St. Martin