Die Bildhauerkunst. 331
seine Gestalten in Anspruch genommen; auch wenn sie nebeneinander
ständen, würden sie isoliert sein. Man frage sich, was der Meister des
Georgenchors aus dem Thema gemacht hätte, er, in dessen Phantasie
aus einer bloß räumlich dekorativen Nebeneinanderstellung dramatische
Szenen von höchster Spannkraft sich entwickelten. Der Gegensatz ist
so groß, wie er nur sein kann. Man darf ihn aber nicht persönlich fassen.
Vielmehr erkennen wir darin in seiner ganzen ursprünglichen Entschieden-
heit den Unterschied der Darstellungsgesetze des von alters mit der
Malerei eng zusammenhängenden Reliefs und der jungen, im Schatten
der Architektur entstandenen statuarischen Kunst. Ihre Abstammung
von der Antike, ist das Wort einmal ausgesprochen, bedarf keines weiteren
Beweises. Ebenso unverkennbar aber hat sich durch die zweimalige Blut-
mischung die künstlerische Rasse verändert. Das wird um so fühlbarer,
je mehr die allgemeinen Bestimmungen, Motiv, Körperbau und- Tracht,
unverändert geblieben sind. Der Leser wolle an der Hand der Abbildungen
dies ins einzelne nachprüfen (449 a, 450 a), wir sprechen hier nur vom synthe-
tischen Eindruck. Zuerst die beiden Madonnen: wie ähnlich sind sie sich und
doch wie unähnlich. Bei der Reimser ein stilles lnsichruhen und eine
zarte, frauenhafte Fülle; die Bamberger von höherem Wuchs und festerem
Knochenbau, rüstiger, spannkräftiger, im Gesicht voll herber Frische.
Und was im Körper von innerer Bewegungslust zurückgehalten wird,
entbindet sich im Gewand mit flimmernder, raschelnder Unruhe, ent-
schieden verwandt, wenn auch ohne Ähnlichkeit der Einzelmotive, dem
ornamentalen und barocken Geschmack, den wir an dem Grabmal Hein-
richs des Löwen in Braunschweig exemplifizierten. So hat diedeutsche
Luft das klassische Ideal gewandelt. Worin aber, fragen wir schließlich,
liegt das Madonnenhafte? Die Antwort wird sein dürfen, daß der Künstler
an dieses kaum noch gedacht hat. Wir stehen vor der Tatsache, daß das
alte Übergewicht des inhaltlich Bedeutenden über die Form vollkommen
zugunsten der letzteren umgeschlagen ist, und sehen darin eine Signatura
temporis von hoher Denkwürdigkeit. Keineswegs aber lag es im Wesen
unseres Meisters, auf die Schilderung der geistigen Natur seiner Gestalten
überhaupt zu verzichten. Das zeigt sich sogleich an der Elisabeth. Die
Mutter des Täufers wird selbst zur Prophetin gestempelt, eine hochauf-
gerichtete heroische Gestalt, der Kopf auf dem sehnigen Hals scharf
herumgedreht, die hageren Wangen gefurcht, der gespannte Blick seher-
Vhaft in die Ferne gerichtet. Hier ist im Vergleich mit dem französischen
Original selbständig ein neuer Charakter geschaffen, großartiger und
pathetischer, und dementsprechend das plastische Motiv nicht unerheblich
umredigiert.
Von den Statuen der Adamspforte sind Petrus und Stephanus Ge-
hilfenarbeiten, während der Meister das kaiserliche Stifterpaar sich
selbst vorbehielt. Da Heinrich und Kunigunde" zwar auch Heilige,