292 Drittes Buch erstes Kapitel.
in Köln). Dasselbe gehört zu den bezeichnendsten Attributen des goti-
schen Stils. Mit den durch Säulchen geteilten Öffnungen der romanischen
Türme und Glockenstuben besteht nur eine entfernte Ähnlichkeit, da
diese immer offene Arkaden bilden. Das gotische Stab- und Maßwerk
hingegen sitzt an den Lichtöffnungen des Binnenraumes und ist Träger der
Verglasung. Das ist seine technische Bestimmung. Ästhetisch will es die
konstruktiv indifferente Öffnung doch für das Auge mit einem Reflex der
konstruktiven Hauptformen beleben. Das große, dreiteilige Fassadenfenster
schließt sich der Kirche St. Leger in Soissons an, und nach demselben
Motiv sind die Arkaden des Kreuzgangs gegliedert, übrigens rundbogig
im oberen Abschluß. So sind auch die drei Portale bei übrigens gotischer
Organisation mit Rundbögen geschlossen, was jedoch zu den sogenannten
Übergangserscheinungen nicht zu rechnen ist, denn auch dafür finden sich
die Vorbilder in der nordostfranzösischen Schule. Einer deutschen An-
pchauung, auf die wir schon mehrfach hingewiesen haben, entspricht der
Verzicht auf offene Strebebögen.
Offenbach am Glan. Diese abseits liegende und daher Wenig
bekannte Benediktinerkirche gehört zu den wertvollsten Denkmälern
der Rezeptionszeit. Begonnen wurde sie vielleicht ein Jahrzehnt vor der
Trierer Liebfrauenkirche. Die Formensprache des Meisters knüpft an
diejenige der Champagne und Nordburgunds an, wodurch einige merk-
würdige Ähnlichkeiten mit dem Dom von Magdeburg entstehen selbst-
verständlich ohne direkten Zusammenhang. Nach Abbruch des Lang-
hauses im I9. Jahrhundert sind nur das Querhaus und der Chor alt;
jenes nach deutsch-romanischer Regel aus quadratischen Abteilungen
zusammengesetzt, dieser polygonal gebrochen und von zwei Nebenchören
begleitet. Über der Vierung sitzt eine achtseitige Kuppel. S0 einfach die
Anlage ist, die kraftvolle Grazie des linearen Rhythmus und die saftige
Frische der (hie und da noch romanischen) Einzelformen machen das
Gebäude zu einem der geglücktesten unter denen, die romanische Raum-
kunst mit gotischer Ausdruckskunst verbinden wollten.
Marburg und die hessische Schule (Abb. 158-462). Die
Elisabethkirche in Marburg geht kunstgeschichtlich genau parallel mit
der Trierer Liebfrauenkirche ; sie teilt mit ihr den Anspruch, der früheste,
gleichmäßig in reiner, schon nicht mehr primitiv zu nennender gotischer
Formensprache ausgeführte Bau Deutschlands zu sein. Aber wie könnte
man von der Elisabethkirche sprechen, ohne daß sie auch noch anderes
als Kunsthistorisches uns in den Sinn brächte? Sie ist in viel weiterem
Umfange noch ein Symbol neuer Mächte. Eine neue, jetzt erst bis zu
den Wurzeln des deutschen Volkslebens hindringende Religiosität war
im Entstehen begriffen und verlangte nach einer neuen Heiligen. Dazu
erkor sich das Volk die jugendliche Witwe des Landgrafen Ludwig von
Thüringen, 1231 in Marburg gestorben, schon vier Jahre später in Rom