Die Baukunst vom Ende des 12. bxs zur Mxtte des I 3. Jahrhunderts. 265
und man wird der Verwunderung voll, daß in diesem Bewegungstaumel
der Lenker die Zügel doch nicht verloren hat. Besondere Beachtung ver-
dienen endlich die Schmuckformen des Innern (Abb. 281--85). Sie zeigen
in exemplarisch schönen und in bequemer Augennähe zu beobachtenden
Beispielen, welche Fortschritte die Meißelfertigkeit der Ornamentbild-
hauer in dieser Zeit gemacht hatte. Nimmt man dann noch das Ornament
des Kaiserpalastes, ebenfalls vom Westen, so hat man in Gelnhausen wie
kaum an einem andern Ort eine zusammenhängende Entwicklungsreihe
in auserlesenen Beispielen zum Studium bereit: im Palaste das mit gra-
ziöser Willkür stilisierte Rankenornament der Zeit von 1210-1220, in
den Konsolen und Kapitälen des Chors der Marienkirche den saftigen
und warmen Halbnaturalismus der Zeit um 1230, am Lettner den Sieg
des gotischen Realismus in der Mitte des Jahrhunderts. Im Wesen des
letzteren liegt es, den tektonischen Kern des Kapitäls deutlich heraus-
zustellen und ihn mit einem naturnachahmenden Laubkranz ,zu um-
winden. Die vorangehende Stufe steht prinzipiell noch auf romanischem
Standpunkte, das heißt sie faßt den vegetabilischen Schmuck symbolisch
auf, als Sinnbild aufsteigender, leicht unter der Last sich beugender
Kräfte; es werden nicht bestimmte Pflanzenmodelle naturhaft nach-
gebildet, sondern es wird aus der allgemeinen Idee der pflanzlichen Lebens-
form heraus ein frei künstlerisches Gebilde geschaffen. Auch Frankreich
hatte diese Phase durchgemacht, aber um die Zeit, als der Ornament-
bildhauer von Gelnhausen dort seine Studien machte, schon verlassen.
Es ist sehr zu beachten, daß er, wie übrigens die deutschen Künstler
dieser Zeit allgemein, jener den Vorzug gab. Und sie taten recht damit:
in die Gesamterscheinung der deutschen Baukunst dieser Zeit hätte gerade
dieses Element der Gotik, der Rationalismus und Naturalismus, schlecht
hineingepaßt.
In den Jahren 1230-1250 war die Gelnhausener Marienkirche das
beherrschende Stilmuster der Umgegend. Man erkennt seine Wirkung
an vielen kleinen Bauten und Bauteilen zwischen Kinzig und Nidda,
am Main in Aschaffenburg und besonders an dem stattlichen Ausbau der
alten karolingischen Basilika in Seligenstadt.
Über den Spessart und die Rhön drang die rheinische Bewegung
nicht vor. Im Sprengel von Würzburg war nach der lebhaften Bau-
tätigkeit des 12. Jahrhunderts die erste Hälfte des 13. eine stillere Zeit.
Der einzige Bau von Bedeutung, und zwar von alles andere hoch über-
ragender, die Zisterzienserkirche in Ebrach (S. 253), war ein Fremdkörper.
Nur an einem einzigen Punkte hat die Ebracher Bauweise auf die boden-
ständig fränkische Einfluß erlangt, im Dom von Bamberg. Er ist der
dritte Bau an seinem Platze. Der erste war 1oo4_1012 von Kaiser Hein-
rich II. errichtet, der zweite hundert Jahre später von Bischof Otto dem
Heiligen, der dritte (der noch bestehende) ungefähr um 1220 begonnen