Viertes
Kapitel.
Die
Bildhauerkunst.
Die äußere Stellung der Plastik in den beiden ersten romanischen
Epochen ist diese: als auszeichnender Schmuck von kirchlichen Mobilien
und Geräten wird sie ausgiebig in Anspruch genommen; über diesen Kreis
hinaus, nach dem Monumentalen hin, erweitern sich ihre Aufgaben nur
langsam, die Malerei ist ihr in dieser Hinsicht weit überlegen.
Es müßte eine sehr naive Anschauung vom Wesen der Kunst sein,
die diesen Unterschied des Verhaltens so erklären wollte, daß Malen
iileichtera sei als plastisch Bilden. Aber auch das wäre ein Fehlschluß,
daraufhin zu meinen, die Deutschen seien durch die Art ihrer Begabung
mehr auf die Malerei als auf die Plastik hingewiesen worden.
Es wird sich nicht umgehen lassen, daß wir eine kurze theoretische
Erörterung einschalten.
Malerei und Plastik stellen beide gegenständlich dasselbe dar, sie
ahmen die natürliche Außenwelt nach, ganz in erster Linie die menschliche
Gestalt. Warum nun sind dazu zwei Künste nötig? Die Antwort ist
nicht ganz einfach zu geben. Jedenfalls bemerkt man bald, daß es sich
um mehr handelt als bloß um einen technisch-materiellen Unterschied,
vielmehr von vornherein um einen Unterschied der Anschauung. Sind
es auch dieselben Gegenstände, der Maler sieht in ihnen andere Eigen-
schaften und Beziehungen als der Plastiker. Wir werden den Unter-
schied nicht erschöpfen, aber in einem Hauptpunkte ergreifen, wenn wir
sagen: plastisch ist diejenige Betrachtungsweise, der das einzelne Gebilde
als ein in sich selbst ruhendes, gegen die Umgebung isoliertes gilt;
malerisch diejenige, die die Einzelerscheinung als Teil und Glied des Un-
endlichen empfindet und deshalb sie vornehmlich auf ihre Relation zur
Umwelt ansieht. Dieser Unterschied ist zweifellos noch wichtiger als der
technische. Ein technisch bei der Plastik einzuordnendes Kunstwerk
könnte gleichwohl überwiegend malerisch gedacht, umgekehrt ein ge-
zeichnetes oder gemaltes Flachbild der plastischen Auffassung genähert
sein. So betrachtet zeigt sich das äußere Übergewicht der Malerei, das sie
bis zum Ende des I2. Jahrhunderts unbedingt behauptete, in einem
andern Lichte. Die Malerei dieser Zeit ließ ganz wesentliche Seiten