Kunßfeide
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oxylin, das gemäß einer Erfindung von J. W. Swan (1. Soc. Chem. Ind. 4, 34, 29. Januar 1885)
unter Druck durch eine feine Oeffnung gepreßt wurde. Etwa um die gleiche Zeit, zu Anfang
der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, gelang es StHilaire de Chardonnet [3]
zu Befancon, aus Nitrozellulofe ein Gefpinft herzuftellen, das in der Feinheit dem Gefpinft des
Maulbeerfpinners nahe kam und deffen hohen Glanz befaß, aber wegen feiner Feuergefährlich-
keit nicht verwendbar war. Als es jedoch Chardonnet I4] im Jahre 1890 gelang, unter Be-
nutzung eines durch Bechamp fchon feit 1853 bekannten und auch fchon von Swan be-
nutzten Verfahrens, der Nitrozellulofe auf dem Wege der Denitrierung, d. h. durch Entfernung
der Nitrogruppen mittels Alkalifulfhydrats, die Feuergefährlichkeit zu nehmen, fand das Ge-
fpintt unter dem Namen Kunftfeide in der Textilinduftrie Eingang.
I. Kollodiumfeiden.
Als Ausgangsmaterial für die Herftellung der Kollodiumfeiden dient kardierte Baumwolle.
Chardonnet verwendete für die Nitrierung der Baumwolle ein Säuregemifch, das aus 15 Teilen
Salpeterfäure (D. 1,52) und 85 Teilen englifcher Schwefelfiiure befteht. 1 Teil Baumwolle wird
mit 9 Teilen diefer Nitrierungsfäure getränkt. Nach 5-6 Stunden iit die Einwirkung beendet.
Der Grad der Nitrierung ift nach Chardonnet mittels des Polarifationsmikrofkops beftimmbar.
Wird das Produkt nun abgepreßt, in hölzernen Holländern zerriffen und forgfältig gewafchen,
alsdann derart gepreßt, daß fein Waffergehalt nicht mehr als 3605 beträgt, fo liegt eine hydra-
tifierte Nitrozellulofe vor, die Geh in Aetheralkohol faft ebenfo leicht wie trockene Nitrozellu-
lofe löft und eine geringere Entzündlichkeit befitzt. Ueber Vorfchläge, Nitrozellulofen mit ge-
ringerem Waffergehalt zu verarbeiten, vgl. Donge Stoerk über Verfuche, die Be-
ltändigkeit der Nitrozellulofe zu fteigern, vgl. Schulz Selwig Donge
Societe anonyme de Droogenbosch, Ruysbroek bei Brüffel
Die Gleichmäßigkeit und Reinheit des Ausgangsmaterials, der Baumwolle, wird durch
eine Vorbehandlung erreicht, die in mehrftündigem Erhitzen derfelben unter Druck über 100"
mit zweiprozentiger Natronlauge unter Zufatz von Harzfeife beiteht. Wafchen, nötigenfalls
Bleichen und Trocknen, beendet diefen Prozeß. Die Nitrierung erfolgt gegenwärtig auf ver-
fchiedene Weife, je nachdem die herzuftellende Nitrozellulofe zum Trocken- oder Naßfpinnen
(nach Lehner) beftimmt ift. Für die I-lerftellung leicht löslicher Nitrozellulofe für das Char-
donnet-Trockenfpinnverfahren ift die Anwendung einer Mifchfäure aus gleichen Teilen kon-
zentrierter Schwefelfäure und Salpeterfäure mit 19-19,5"[„ Waffer notwendig. Für das
Lehnerfche Naßfpinnverfahren eignet fich ein Nitriergemifch von etwa 4801„ Schwefelfaure,
315'110 Salpeterfäure und 1501„ Waffer. Das Verhältnis der Baumwolle zur Nitrierfäure beträgt
1:25 bis 1:30. Mitfcherling (Kunftftoffe 2, 261, 285 [l912]) gibt an: 61-64"]0 H,SO4,
19,6- 20,4 "A, HNO„ 17,l-20"fo H20. Die abfolut trockene Baumwolle wird aus den Trocken-
kammern fofort in das etwa 40" warme Nitriergemifch gebracht, wobei Sorge getragen wird,
daß die Temperatur nicht über 50" fteigt. Nach Becker [f. u.] find Nitrozellulofen mit einem
N-Gehalt von 11,3 bis 12,505 durch ihre Löslichkeit in Aetheralkohol ausgezeichnet. Erfolgt
die Nitrierung in Tontöpfen, [o muß öfters umgerührt werden. Nach etwa 20-30 Minuten ift
der Nitrierprozeß beendet. Die Fafern erfcheinen dann im Polarifationsapparat fchwach ftahl-
blau. Die anhaftende Säure wird abgefchleudert, das Schleudergut zerkleinert und in einen
Bottich mit Waffer gebracht, wo es mit fließendem Waffer folange ausgewafchen wird, bis das
abfließende Watfer nicht mehr fauer reagiert. Zur Entfernung der letzten Säurefpuren wird die
Kollodiumwolle dann im Mahlholländer zerkleinert und darauf einer mehrftündigen Kochung
unter Druck unterworfen, um fie ftabil zu machen. Die Trocknung erfolgt in den vortichtig
mit Luft von 40" geheizten Trockenhäufern oder in Vakuumtrockenfchränken, die mit heißem
WatTer geheizt werden.
Die nächfte Operation bezweckt, die Nitrozellulofe in Löfung zu bringen. ln feinem erften
Patent aus dem Jahre 1885 gab Chardonnet an, daß dies, bei Anwendung von 100 g getrock-
neter Nitrozellulofe, mit 2-5 l einer aus gleichen Teilen Alkohol und Aether bereiteten Mifchung
in geeigneter Weife erreicht werde. Später bevorzugte er ein konzentrierteres Kollodium, das er
durch Löfen der hydratifierten Nitrozellulofe in der vierfachen Gewichtsmenge Aetheralkohol
erhielt. Diefes Kollodium befitzt eine große Viskofität und bedarf eines Druckes von 60 at,
um durch die Kapillaren der Spinnkörper gepreßt zu werden. Um es dünnflüffiger zu machen,
hat man Zufätze vorgefchlagen indeffen hat {ich deren Anwendung als unvorteilhaft
erwiefen. Für die Herftellung der Nitrozellulofelöfung liegt eine Reihe weiterer Vorfchläge
vor. Lehner [15] löft die Nitrozellulofe in Holzgeift und fügt diefer Löfung eine folche von
Natriumazetat oder von Ammoniakfalzen in verdünntem Alkohol, fodann eine ätherifche Löfung
von Kopal oder Sandarak mit Leinöl hinzu. S. ferner Bonnand Senechal de la
Grange Duquesnoy Strehlenert Schlumberger Vivier[21]
(Vivier-Seide), Lehner Bronnert Schlumberger und Bronnert
Gute Kollodiumwolle muß in einem Gemifch von 60 Teilen Aether und 40 Teilen Alkohol
vollkommen und leicht löslich fein. Aus ihr ftellt man die Spinnlöfung her, indem man fie in
luftdicht verfchloffenen verzinnten Kefleln mit der beftimmten Menge Aetheralkohol übergießt
und durch tüchtiges Mifchen mittels eines wagrechten Riihrwerkes in Löfung bringt. Für das
Trockenfpinnen nach de Chardonnet eignet fich am betten eine etwa 25pr0zentige Löfung,
für das Lehnerfche Naßfpinnverfahren benötigt man ein etwa löprozentiges Kollodiurn,
deffen Viskofität noch durch Zufatz von geringen Mengen Säuren herabgemindert wird.
Das nach einem der vorftehenden Verfahren in langfam fich drehenden eifernen, innen
verzinnten Mifchkeffeln bereitete Kollodium wird hydraulifch durch Filter gepreßt, deren fil-
trierende Schicht aus verfchiedenen Lagen verzinntem Metalltuch, Baumwollwatte und Seiden-
beuteltuch befteht, fodann in gefchloffenen Behältern der Ruhe überladen, teils um etwaigen