Gruppe mit der in den Armen Johannes zusammenbrechenden Maria aufgebaut, die
an die entsprechende Szene auf dem Gemälde des Sakraments des Altars von Rogier
van der Weyden im Museum zu Antwerpen oder seiner Kreuzigung im Prado in
Madrid erinnert. Trotz all dieser Anschlüsse erscheint jedoch die Annahme, dass es
sich um Teile eines niederländischen Altarwerks handeln könnte, ausgeschlossen.
Dagegen spricht schon das für den Norden ungewöhnliche Material des Lindenholzes,
das nach Süddeutschland verweist, ferner die Typen und der Mangel jener phanta-
stisch-burgundischen Kostüme. Anderseits gemahnen die Schlichtheit der Gewänder
und die vegetabile Schlankheit der Gestalten an Münchener Arbeiten und einzelne
Köpfe, wie der des Johannes, der Maria oder der zum Kreuze emporblickenden heiligen
Frau, durchaus an die Art Grassers. Befremdend im Kreise der Münchener Kunst
könnte höchstens das stark ansteigende Terrain wirken, das aber keineswegs eine ver-
einzelt auftretende Erscheinung gewesen zu sein scheint. Jedenfalls legen die Frag-
mente, die sich stilistisch kaum in irgendeine andere Schule oder Gruppe des Nordens
oder Südens einordnen lassen, die Vermutung nahe, dass sie aus dem Bannkreise, wenn
nicht aus der Werkstatt des Erasmus Grasser stammen. Wir hätten mit diesem nieder-
ländischen Einfluss für die Münchener Schule eine ganz gleiche Erscheinung zu ver-
zeichnen, wie für die etwa ein oder zwei Jahrzehnte früher entstandenen Altäre in und
um Schwäbisch-Hall)
Noch engere Beziehungen zu Grasser sprechen aus dem Fragment. einer Kreuzigung
im Besitze von Hofrat Berolzheimer in Untergrainau (Taf. LVII), das aus dem Mün-
chener Kunsthandel kam. Eine Gruppe der Juden und des Hauptmanns unter dem
Kreuz, auf ähnlich aufsteigendem Gelände angeordnet wie die drei Berliner Fragmente.
nur in weit schwacherem Relief geschnitten. Die scharfgeprägten Gesichtstypen mit
den spitzen Nasen, den knochigen Wangen, den sehnigen Hälsen und den verkümmer-
ten Oberlippen können unmittelbar von Grasser abgeleitet werden, doch spricht. eine
gewisse Temperamentlosigkeit gegen eine Ausführung seiner eigenen Hand. Sowohl
dieses Relief wie die drei Berliner werden zeitlich in die Nähe des Ramersdorfer Altars,
also etwa 1480 --149O, zu setzen sein.
Von den Arbeiten in Stein, die man Grasser oder seiner Werkstatt zuzuschreiben
pflegte, und über die noch in anderem Zusammenhange zu handeln sein wird, sei hier
zunächst nur von dem grossen Monument für den Ritter Balthasar Bötschner von
S0 weist ein dreiteiliger, ganz im Sinne der flämischen Altäre gegliederter Passionsaltar in der Votivkirche
in Wien die gleichen komposit-ionellen Tendenzen auf. Der Altar stammte aus München, gelangte später in
den Besitz des Bildhauers und Sammlers Hans Gasser in Wien und befindet sich seit 1858 als Stiftung
Kaiser Franz Josefs in der Votivkirehe dortselbst. Er trägt, wie schon eine alte Abbildung in A. von Eye
und Jakob Falke, Kunst und Leben der Vorzeit Bd. I (Nürnberg 185511858) Taf. 105, zeigt, zwei Wappen
mit dem pfälzischen Löwen und den bayerischen Rauten, die, soweit eine Untersuchung es gestattete, sich
als alt erwiesen, so dass man in dem Altar wohl eine bayerische Arbeit vermuten darf. Das kaiserliche Wap-
pen zwischen beiden ist neu. Freilich weisen die Kostüme im Gegensatz zu den eben erwähnten Berliner
Reliefs auf flämische Einflüsse. Vielleicht haben wir es bei dem Wiener Altar mit einer ähnlichen Erschei-
nung wie bei den schwäbischen Altaren in Hall zu tun. Vgl. Julius Baum, Deutsche Bildwerke des 10. bis
18. Jahrhunderts (1917) S. 38.