Was bisher zu seiner Erkenntnis erschlossen wurde, verdanken wir in erster Linie
der englischen Shakespeare-Forschung, der die häufige Erwähnung des Tanzes in den
Dramen des grossen Briten und damit zusammenhängend bei den übrigen englischen
Dramatikern des 17. Jahrhunderts Anstoss zu tieferer Schürfung gab, und im Anschluss
daran der Volkskunde. Wie reichlich nun auch hier die Quellen fliessen, so tragen die
Ergebnisse doch durchaus nur den Charakter kommentatorischer Noten und können
bei aller Gründlichkeit oder richtiger wohl Weitschweifigkeit kaum anders denn
als eine Materialsammlung zu dem Thema des Tanzes bezeichnet werden. Wurde doch
nicht einmal der leiseste Versuch unternommen, festzustellen, wie weit sich der Ausdruck
Moriskentanz englisch morris-dance zurückverfolgen lässt, eine Untersuchung,
die von grundlegender Bedeutung wäre.
Die nachfolgenden Ausführungen können aus den oben erwähnten Gründen kaum
mehr als ein Versuch zu einer Geschichte und Deutung des Moriskentanzes ange-
sprochen werden. Sie wollen im wesentlichen nur einigen allgemeinen Beobachtungen
und Eindrücken Raum geben, die sich bei der Lektüre vor allem des folkloristischen
Materials aufdrängten, und die als Vermutungen und Kombinationen vielleicht er-
lauben und ermöglichen, Brücken zu schlagen, wo sichere Quellennachrichten und ein-
wandfreie Forschungsergebnisse fehlen. Im übrigen aber lag es nahe, einmal die ein-
schlägigen künstlerischen Darstellungen des Tanzes unter sich und mit jenen des
Schrifttums in Beziehung zu setzen, um dadurch dem Wesen und der Idee des Tanzes,
wie er sich namentlich im 15. Jahrhundert bot, näherzukommen und damit zum V er-
ständnis der Kunstdenkmäler und ihrer Zeit ein bescheidenes Teil beizutragen.
Wenn diese Untersuchungen dabei in erster Linie von dem englischen Morisken-
tanz ausgehen, so hat dies seinen Grund darin, dass, wie schon erwähnt, nirgends sonst
das Material in solcher Fülle zusammengetragen wurde wie in England. Das mag für die
ausserordentliche Verbreitung und die lange Lebensdauer des Tanzes dortselbst spre-
chen. Dann aber erscheint es von besonderer Bedeutung, dass die Forschungen zur
Moriske, während sie die übrigen Länder bis heute kaum angeschnitten haben, in Eng-
land bis in das 18. Jahrhundert zurückreichen und nie ganz in Vergessenheit gerieten.
Die meisten englischen Autoren nehmen an, dass der Moriskentanz unter Über-
nahme des pyrrhischen Tanzes der Alten in Spanien erfunden und ausgebildet worden
sei, und dass er, ursprünglich ein Schwertertanz, die jahrhundertelangen Kämpfe der
spanischen Christen mit den Mauren dargestellt habe. Den Abkömmlingen der Mauren,
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