Wahrscheinlich ist der gleichen Gruppe auch das prächtige, glänzend auf Licht-
und Schattenwirkung hin durchgearbeitete Wappen der Tänzl von Tratzberg in Schloss
Reichersbeuern im Bez.-Amt Tölz einzureihen, das die Mittelfüllung der Kassetten-
decke des südwestlichen Eckzimmers einnimmtß Wenn auch erst in den Jahren 1514 bis
1518 entstanden, verharrt die Decke mit ihren spätgotischen Profilen ebenso wie das
Wappen in seinen heraldischen Formen, so namentlich auch in den prächtigen wilden
Männern, noch durchaus in den Gewohnheiten der Spätgotik (Taf. LXXX).
Mit ausserordentlich feinem räumlichen Empfinden in das Sechseck komponiert,
von ungewöhnlicher Delikatesse in allen Einzelheiten, von einer jede Schwierigkeit
spielend überwindenden Sicherheit des Messers, repräsentiert das Wappen den Höhe-
punkt dekorativer Schnitzkunst in Altbayern und gemahnt, ohne dass damit an stili-
stische Einzelheiten gedacht sei, in seinem flotten, temperamentvollen Wurf durchaus
noch an Erasmus Grasser.
Unbeantwortet bleibt die Frage, inwieweit von Grasserschem Einfluss noch die
Rede sein kann, auch bei den Hochaltarfiguren der ehemaligen Kollegiatstiftskirehe
St.Wolfgang bei Dorfenz und namentlich bei dem, einem barocken Altar eingefügten,
Hochrelief der Kreuzigung Christi ebendort aus der Zeit um 1500, das weniger im
szenischen Aufbau als in Einzelheiten seines reichen figürlichen Apparats an den Ra-
mersdorfer Altar oder das Berliner Altärchen erinnert, zugleich aber auch manchen,
selbst der Münchener Schule überhaupt fremden Zug aufweist, dagegen eher Beziehun-
gen zur Inntaler Gruppe vermuten lässt.
Anderseits müssen aber auch Zuschreibungen abgelehnt werden, die z. B. in einem
Christus am Kreuz in Münchener Privatbesitz den verlorengegangenen Grucifixus
zu den beiden Pippinger Assistenzfiguren Maria und Johannes Grassers im Bayerischen
Nationalmuseum oder in der männlichen Büste Inv. Nr. 4082 ebenda die Hand des
Meisters erkennen wollen. Es genügt im ersteren Falle, auf die völlig andere, wesentlich
härtere, um nicht zu sagen: derbere Holzbehandlung des Christus im Gegensatz zu
Maria und Johannes hinzuweisen, um die Unhaltbarkeit dieser Anschauung darzulegen.
Die männliche Büste aber gibt sich ohne weiteres als eine Arbeit der schwäbischen
Schule zu erkennen. Wie Grasser derartige Propheten gestaltete, lehrt uns ein Blick
auf das Chorgestühl der Münchener Frauenkirche."
Man hat mit Erasmus Grasser namentlich auch einige steinplastische Arbeiten in
Verbindung gebracht. In erster Linie ist hier der Gedenkstein für Seitz von Törring-
Seefeld und seine Frau Dorothea von Losenstein in Kloster Andechs zu nennen, auf
dessen kompositionelle Verwandtschaft mit dem Grabmal des Ulrich Aresinger Ber-
thold Riehl zum erstenmal verwiesen hat, indem er sagt, dass „sicher eine Arbeit des-
und Taf. 94.
Ebenda I. S. 2052 ff und Tat. 243.
Hubert Wilm, Die gotische Holzfigur, Leipzig 1923, Tai. 122 u. 123. Ebensowenig kann ich in dem dort
auf Taf. 124 abgebildeten Kopf eines Himmelfahrtschristus die Hand Grassers erkennen. Dagegen liegt
vielleicht in dem Gottvater-Fragment, Tat. 125, eine Arbeit seines Kreises vor. Die männliche Büste
abgebildet bei Hubert Wilm, Gotische Charakterköpfe (1925) Taf. 73.