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Fünfter
Abschnitt.
Gerade in dem notwendigen Kampf gegen die überlieferte gewerb-
liche Polizei und Rechtsprechung liegt eine der Ursachen der Zunft-
bewegung. Die Zeit der Zunftentstehung ist die Zeit eines tiefen Ver-
falls der Rechtspflege auf den Gebieten des wirtschaftlichen Verkehrs.
Allenthalben finden wir das Zeugnis, daß die Gerichtsbarkeit. in Ge-
werbesachen nur ein Mittel der Ausbeutung und der Erpressung gegen-
über den Gewerbetreibenden geworden warl; in den Urkunden wird
es immer wieder ausgesprochen, daß das Privileg einen Schutz gegen
die Übergriffe der Amtsleute gewähren soll, „denen es nicht um die
Ehrlichkeit im Gewerbe, sondern um die Eintreibung von Geldbußen
zu tun ist z." Das wirtschaftliche Emporsteigen mußte den Hand-
werkerstand notwendigerweise immer weiter entfernen von den Ein-
richtungen der Marktpolizei und zwar in einer doppelten Richtung:
die Handwerker entziehen sich der seitherigen, von Gewerbefremden
ausgeübten Gerichtsbarkeit; und die Ordnung des Gewerbeverkehrs
wird aufgebaut nicht auf der Bestrafung, sondern auf der vorbeugenden
Verhinderung der Unehrlichkeit. Zwischen beiden Gebieten besteht
kein Anschluß, sondern ein voller Gegensatz der Entwicklung.
Daß es sich bei dem Marktwesen und den Handwerkerverbänden um gänzlich
verschiedene Gebiete handelt, hat sich in den Urkunden über das organisierte
Handwerk, oben I. bis IV. Abschnitt, zur Genüge gezeigt. Im einzelnen sei noch
auf dieu Vorschrift des „forum postulare" in Basel und des Gewerbekaufs bei den
alten Amtern hingewiesen, Einrichtungen, aus denen sich ergibt, daß Markt-
regelung und Handwerkerverband verschiedenen Ausgangspunkt haben.
Doch auch außerhalb des Bereichs des Marktwesens fehlt in den
wirtschaftsgeschichtlichen Zeugnissen des vorliegenden Abschnitts jeder
Zusammenhang mit der Zunftentstehung. Die sämtlichen hier S. 259
bis 278 besprochenen Urkunden von dem Edictum pistense bis zu der
Sententia von Worms kennen obwohl sie durchweg Handwerker-
schaften und Gesamtheiten von Gewerbetreibenden behandeln weder
einen Zunftverband noch irgend eine zunftmäßige Organisation oder
einen Ansatz zu zunftmäßiger Verwaltung; selbst das alte grundherrliche
Amt wird nur in den zwei späteren Urkunden von Chälons und Meaux
(1189 und 1218) erwähnt. Die Zunftverfassung ist dieser langen Reihe
von Gewerbeurkunden vollständig fremd. Die gewerbegeschichtliche
1 Oben S. 25, 71, 133 und 168;
32.
2 Gewerberecht S. 148 Anm.
vgl.
GRUPP:
Deutsche
Stadprechte,