Zweiter
Abschnitt.
Die
älteren
Handwerkerverbände.
Daß dem Zunftwesen ältere Handwerkerverbände voraufgegangen
sind und daß ein Teil dieser Verbände unmittelbar in das spätere
Zunftwesen übergetreten ist, wurde seit dem Beginn des 19. Jahr-
hunderts von der überwiegenden Zahl der Autoren angenommen. Da-
gegen wurden die Einzelheiten des Übergangs nicht vollständig er-
mittelt. Die Arbeit, die uns die seitherige Zunftforschung übrig-
gelassen hat, scheint mir demnach namentlich in der Beantwortung
dreier Fragen zu liegen: 1. wie ist der Zunftorganis mus ent-
standen; 2. in welchen Formen ist die unmittelbare Uberleitung älterer
Verbände in das Zunftwesen erfolgt; 3. unter welchen Bedingungen
vollzog sich das Aufsteigen des Handwerkerstandes und seine Ein-
gliederung in die allgemeine Verwaltung.
Wenn wir aus der Zeit um das Jahr 1150 eine Urkunde auf-
fänden, in der eine Vogtei, eine Grafschaft, ein Bistum verliehen
wird, so würden wir es für undenkbar halten, daß das Amt eines
Vogtes, eines Grafen, eines Bischofs etwa ein nicht vorhandener oder
auch ein unbestimmter Begriff wäre. Für die Zunfturkunde jener
Zeit ist eine derartige Vorstellung ganz ebenso unmöglich. Das
Zunftprivileg überträgt Bechts- und Verwaltungsbefugnisse von einer
organisatorischen Vollendung, die an Kompliziertheit der Voraus-
setzungen jenen drei hochstehenden Ämtern nicht allzu viel nach-
gibt. Beachtenswert ist hierbei die Tatsache, daß gerade bei den
ältesten Handwerkerschaften die Privilegien, soweit sie in schrift-
liehen Aufzeichnungen überhaupt vorliegen, ganz im G eg en sat z
zu den Stadtrechten, von äußerster Kürze und Dürftigkeit des Inhalts
sind. Der Umstand, daß die ersten Zunfturkunden gerade die ge-
werbepolitischen Bestimmungen zumeist nur in geringem Umfang
aufzeichnen, beweist, daß das Ziel der Handwerkerverbindungen
bereits bekannt war und daß es sich nur um eine Verschiebung und
Verleihung, nicht um eine völlige Neubegründung gewerbepolitischer
Einrichtungen handelt. Wenn wir das erste Privileg oder das erste