Überaus groß ist die Zahl der Kleinpalimpseste. In vielen
Pergamenthandschriften, von denen die größeren Bibliotheken
hunderte, ja tausende besitzen, finden sich zahlreiche, mitunter
durch ganze Werke systematisch durchgeführte Einzelradierungen.
Es sind beispielsweise vermeintliche grammatikalische Ver-
besserungen. Durch sie wurde nicht selten der Wert, die Ver-
wandtschaft oder die Abhängigkeit des ersten Textes von anderen
verdeckt.
In
anderen
Fällen
wurden
vermeintliche
sachliche
Ver-
besserungen vorgenommen, und zwar an Hand anderer Hand-
schriften, denen man größere Glaubwürdigkeit zumaß. Auch
hier wurde nicht selten das Gegenteil von "dem geschaffen,
was beabsichtigt war. Der Text, der der Originallesung nahe-
kam oder sich mit ihr deckte, wurde durch irreführende Vari-
anten
ersetzt.
Mitunter ist eine Rasur allein in einem ganzen Werk für
seine Beurteilung von ausschlaggebender Bedeutung. Dies
gilt hauptsächlich von dem Namen des Verfassers oder des
einstigen Besitzers. Seine Wiedergewinnung löst nicht selten
textgeschichtliche oder textkritische Fragen. die sonst kaum
oder gar nicht entschieden werden können. Es finden sich
aber auch absichtliche oder erzwungene Fälschungen vor. Vor
ein paar Jahrzehnten wurde selbst von namhaften Forschern
solchen einzelnen formellen und sachlichen Veränderungen
nicht die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet.
Heute wendet man ihnen ein besonderes Augenmerk zu.
Der Gelehrte, der sich der Erforschung der historischen Quellen
widmet, wird daher jedes technische Hilfsmittel, das ihm den
ursprünglichen Text soweit als möglich wiederzugeben vermag,
willkommen heißen. Ja, er wird das dritte Auge des Unsicht-
baren nicht mehr entbehren können, wenn die Ergebnisse
seiner Forschung nicht ebensoviel Fragezeichen aufweisen sollen
als das Original Rasuren.
In der vorliegenden Schrift soll" dann insbesondere die
Anwendung der Palimpsestphotographie zur Untersuchung