ein Wasserfall von oben gesehen entweder ganz unsichtbar bleibt
oder seine Wirkung als Naturschauspiel zum größten Teil ver-
fehlt, so wird auch ein abfallendes Gelände selten ein befriedigen-
des Bild ergeben. Für den Bergsteiger mögen die Fernsichten von
hoher steiler Bergeswarte noch so interessant sein, künstlerisch
werden sie selten wirken. Wenn nicht malerische Wolkenbildungen
oder besondere Beleuchtungseffekte von Sonnenflecken und
Wolkenschatten auf der Erdoberfläche dazukommen, vermag die
beste Platte immer nur als eine touristisch oder geographisch
interessante Zeichnung, aber niemals als künstlerische Aufnahme
zu gelten. Steile Tiefblicke versprechen dem Künstler also wenig
Erfolg.
Ganz anders verhält sich aber ein Gebirgshintergrund, der
den Standpunkt des Beschauers überragt. Auf verschiedene
Menschen wird er verschieden wirken, denn letzten Endes ist
alle Naturbetrachtung Sache des Temperaments. Wie für manche
Gemüter bewußt oder unbewußt die große Horizontale des Meeres
in ihrer tausendfältigen Wiederholung an Wellen und Wolken an
Uferlinien und Küstenformen verwandte Regungen und beru-
higende Empfindungen auslöst, so fühlt der energische vorwärts-
drängende Charakter sich durch den hochgetürmten Aufbau des
Hochgebirges, durch dessen vielseitigere Wunder und ihre ge-
heimnisvollen Widerstände vollständig gefesselt. Unter diesen
seelenverwandten Charakteren selbst kann man vielleicht nach
Zeit, Alter und Gelegenheit nochmals Unterschiede finden. Ihr
aller Sehnen gilt den Bergen, dem Aufblick nach den verglet-
scherten Höhen oder dem immer und immer wiederholten ein-
zelnen Kämpfen um ihre Bezwingung.
Des Abstiegs halber geht kein Alpinist auf einen Berg, auch
die Aussicht ist ihm nicht allein das Verlockende. Beides über-
läßt man dem Hotelgast, der die Rückfahrt auf der Zahnradbahn
sparen will und den Abstieg bequemer findet als den Anstieg.
Mit dem Gedanken an Berge und Höhen verknüpfen wir in
unserem Empfinden also stets den Blick nach oben und das Streben
nach aufwärts. Dieser Tatsache muß alle alpine Darstellung, die
auf künstlerische Wertung Anspruch erhebt, in erster Linie Rech-
nung tragen.
In dem einzelnen Worte B e r g finden wir ohne weiteres den
Begriff von Höhe, Stattlichkeit, Erhabenheit sowie von Einzel-
figürlichkeit, Selbständigkeit und Bodenständigkeit verkörpert.
Unbedeutende Erhebungen bezeichnet man nicht mit dem Aus-
druck Berg und auch für die Anhäufung mehrerer Berge auf
engem Raum oder für mehrere zusammenhängende Berge besitzt
die Sprache andere Bezeichnungen, die den Gesamtbegriff des