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Kapitel.
Wie
man
Zeichenfilme
macht.
Der Künstler des Zeichenfilms braucht als Filmschauspieler
keine wirklichen lebenden Menschen. Er braucht keine Gegenstände,
keine Landschaften für seinen Film; statt dessen benötigt er eine
Anzahl von Zeichnungen, die zueinander in bestimmten Beziehungen
stehen, und deren jede im Verhältnis zur vorhergehenden und zur
folgenden gewisse Abweichungen besitzen muß, die eine richtig fort-
schreitende, stufenweis gegliederte Ordnung aufweisen. Diese Zeich-
nungen legt man unter eine Kamera und photographiert sie in der
ihnen zukommenden Reihenfolge; hierauf wird, wie bereits im
vorigen Kapitel dargelegt, der Film entwickelt und das sich hierbei
ergebende Negativ zur Herstellung einer Kopie verwendet. Diese
wird ihrerseits, wie ebenfalls schon ausgeführt wurde, zur Vor-
führung auf der Leinwand benutzt.
Wenn man sich überlegt, daß 150 m Film, die herkömmliche
Länge für ein humoristisches Thema, beinahe achttausend Einzelbilder
enthalten, von denen ein jedes in der Theorie vom anderen
verschieden sein muß, dann sollte man es für ein geradezu ent-
mutigendes Unterfangen halten, derart viele einzelne Bilder für
einen derartig kurzen Film zu zeichnen. Aber kein Zeichner fertigt
auch nur annähernd so viele Bilder für einen Film der angegebenen
Länge. Jeder, der diesen Kunstzweig zu erklimmen beabsichtigt,
braucht viele Talente; deren keines aber ist für ihn so Wichtig wie
die notwendige Geschicklichkeit, seine Arbeit so anzulegen und ein-
zuteilen, daß er mit so wenigen Zeichnungen wie nur irgend möglich
auskommt, um einen bestimmten Film herzustellen.
"Trickfilmzeichner", besser, richtiger und einfacher: „Film-
Zeichner", ist die übliche Bezeichnung, mit der man den Schöpfer
dieses neuartigen Kunsterzeugnisses belegt hat. Außer der sehr
wichtigen Fähigkeit, Zeichnungen Leben zu verleihen, muß er ein
vielseitig begabter Mann sein. Zunächst braucht er, da zu jedem
Film erst einmal ein Drehbuch, ein Szenarium, geschrieben werden
muß ob der Film nun ernst, belehrend oder humoristisch sei
ein gewisses dramatisches Talent. Er mag einmal Gustav_Freytags
„Technik des Dramas" studieren. Er muß es verstehen und fühlen,
wie in einem guten dramatischen Aufbau die erregenden Momente,
die Höhepunkte und die Lösungen zueinander angeordnet und pro-
portional verteilt sein müssen.
Handelt es sich um einen belehrenden Film, so muß er wenigstens
eine Ahnung von pädagogischen Grundsätzen besitzen; liegt jedoch