Rationalisierung
der
geistigen
Arbeit
beim
Wohnungsbau
Wenn man annimmt, daß in den letztenjah-
ren jährlich etwa 100000 Wohnungen gebaut
worden sind, so wurden hierfür schätzungsweise
10000 Entwürfe und ebensoviele Massenberech-
nungen, Kostenermittlungen, Ausschreibungen,
Abrechnungen angefertigt, unzählige Anträge an
die Baupolizei- und Zuschußbehörden, die Hy-
pothekenbanken und Feuerversicherungen muß-
ten besonders bearbeitet werden. Für Berech-
nungen, Schriftsätze, Anträge und mündliche Ver-
handlungen wurde eine Unsumme geistiger Ar-
beit erforderlich. Würde man den Wohnungs-
bau in der Hauptsache nach einigen wenigen
Normenentwürfen durchführen, so ließen sich
auch die Berechnungen, Kostenanschläge, Aus-
schreibungsunterlagen, Anträge und Abrechnun-
gen normen. Unproduktive geistige Arbeit der
Architekten, der Unternehmer, der prüfenden
Behörden und Hypothekenbanken würde auf
diese Weise vermieden werden; alle am Woh-
nungsbau beteiligten Stellen, Architekten, Bau-
unternehmer, Bauhandwerker, Behörden und
Banken, könnten sich mehr der eigentlichen
technischen Sacharbeit, dem Bau selbst und der
wirtschaftlichen Förderung der Bautätigkeit
widmen.
Fast auf allen übrigen Wirtschaftsgebietcn
ist eine Rationalisierung der geistigen Arbeiten
bereits in weitem Ausmaße durchgeführt; sie
bildet die Grundlage wirtschaftlicher Erfolge;
wollte man etwa die Erzeugung von 100000
Kraftwagen nach 10000 verschiedenen Ent-
Würfen vornehmen, so wäre eine wirtschaft-
liche Produktion von Kraftwagen undenkbar.
Beim Kleinwohnungsbau, der ebenso wie viele
andere Wirtschaftszweige Aufgaben der Massen-
erzeugung zu lösen hat und ohnehin schon
durch das Zusammenwirken einer beträchtlichen
Anzahl von Handwerks- und Industriezweigen
in seiner wirtschaftlichen Durchführung un-
gemein erschwert wird, ist es bis heute fast
durchweg bei der Vergeudung von geistiger
Arbeit geblieben. Aufgabe der Normung muß
es sein, die unproduktive geistige Arbeit zu ver-
mindern, dafür aber den jährlich erstellten Wohn-
raum zu vermehren; Aufgabe der führenden
Köpfe der Architektenschaft und der Bauwirt-
schaft ist es, die unrationelle geistige Arbeit im
Wohnungsbau zu beseitigen und beste Normen-
entwürfe anzufertigen, sowie dauernd darauf be-
dacht zu sein, die Herstellung der Einzelteile
des Hauses und des ganzen Hauses zu ver-
bessern und zu verbilligen; eine solche geistige
Arbeit ist rationell und produktiv.
Die
Begriffe
nNOrm"
und
Xs
Es ist nun zunächst notwendig, die Begriffe
"Normung" und "Typung" oder "Typisierung"
im Hochbau zu klären. Von jeher gab es typische
Formen von Bauteilen und Häusern. Die alten
Wohnungsbauten an der Nordsee z. B. weisen
eine bestimmte Gattung von Fenstern, und zwar
nach außen aufgehende Zargenfenster, auf.
Typische Formen des Grundrisses und Auf-
baues sind das Niedersächsische Bauernhaus,
das Hessische Bauernhaus, das Ostpreußische
lnsthaus, das Bremer Dreifensterhaus, die Ber-
liner Mietskaserne u. dgl. Aber diese Bauteile
und Bauten sind zwar typische Einheitsformen,
jedoch in ihren einzelnen Abmessungen nicht
festgelegt. Bei fast jeder Ausführung sind die
Maße der einzelnen Bauteile und Grundrisse,
sowie die Abmessungen des Aufbaues verschie-
den. Erst wenn man für eine typische Bauform
die Maße genau festlegt, entsteht die Norm.
Man kann also ein typisches Fenster, eine ty-
pische Tür, eine typische Treppe "normen",
jedoch nicht einen Typ typisieren. Ebenso läßt
sich ein ganzer Haustyp, beispielsweise das
Bremer Dreifensterhaus, in seinen sämtlichen
Abmessungen genau festlegen, d. h. normen.
"Typisieren" im Hochbau ist somit nicht
denkbar. Vielleicht ist der Begriff Typisieren
überhaupt ein sprachlich falscher. Man kann
einen Typ schaffen und diesen Typ normen.
Man kann jedoch nicht irgend etwas, irgendeine
Bauform "typisieren". Der Typ ist da oder
wird erfunden und in seinen Maßen festgelegt,
d. h. genormt.