Der visuell-sensorische
Typus.
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das sind malerische Wirkungen, verglichen mit dem Zement-
grau der akademischen Baukunst früherer Jahrzehnte.
Wir haben hier gleichsam eine Rückkehr zu längst ver-
gangenen Kunststufen. Während die Griechen ihre Statuen
bemalten und Farbe in der Skulptur des ganzen Mittelalters
herrschte, hat sich in der neueren Zeit im allgemeinen die
Entwicklung der Kunstformen im Sinne der Spezialisierung auf
einzelne Sinnesgebiete vollzogen. Wir. werden dieselbe Er-
scheinung noch öfter Enden, ebenso aber auch die Reaktion
dagegen. Die Entwicklung beginnt also mit einem „Gesamt-
kunstwerk", das möglichst alle seelischen Funktionen ergreift
und schreitet fort zu immer größerer Spezialisierung, so daß
schließlich die Malerei nur noch Farbe, womöglich aber keine
Umrisse und keine Tiefenwirkung erstreben soll. Die Richtung
geht also von der größeren Mannigfaltigkeit des Eindrucks hin
zu stärkerer Konzentration auf ein einzelnes Sinnesgebiet. Diese
Konzentration soll dann dadurch erleichtert werden, daß man
alle anderen Wirkungsfaktoren möglichst ausschließt. So ent-
stehen unsere rein malerisehen, kontur- und perspektivelosen
Bilder, so unsere farblose Plastik, so auch die absolute Musik.
Dagegen nun tritt gerade infolge ausgesprochener Misch-
typen, wie Klinger einer ist, eine Reaktion ein, und wir haben
so die Erscheinung, daß die Entwicklung auf ihrer äußersten
Stufe wieder einlenkt zu ihrem Ausgangspunkt, daß sie über
vollkommene Spezialisierung wieder zur Universalität zurück-
kommt. Es wird sich das noch deutlicher auf dem Gebiet der
Musik, an der Person Richard Wagners, offenbaren.
Selbst die Bühne und ihre Kunst wird vom visuellen Typus
in Anspruch genommen. Das moderne Stildrama sucht in jeder
Hinsicht aufs Auge zu wirken, durch Licht- und Schatten-
effekte aller Art, durch Farben und Formen. Man möchte eine
"Malerbühne" konstruieren und will vor dem Proszenium sitzend
Gemälde erleben. Wir kennen solche Forderungen besonders
aus den Werken von Georg Fuchs in München und des Eng-
länders Gordon Craig. 1) Praktisch sind wenigstens verwandte,
1) G. Fuchs: Die Schaubühne der Zukunft.
Kunst des Theaters. Deutsch von Kassler.
Gordon Graig:
Die