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Psychologie
Die
künstlerischen
des
Genießens.
torische Faktoren und an das Urteil. Rein sensorisch sind nur
die Farbenwirkungen, und die ausgesprochenen Vertreter dieses
Typus haben denn auch nicht versäumt, ihre Art, die ganze
Welt als ein buntes kaleidoskopartiges Farbenspiel zu sehen,
als edelste Kunstforderung in die Welt zu posaunen.
Der Farbensinn ist ja eine derjenigen Formen ästhetischen
Erlebens, die schon auf allerfrühester Stufe vorkommen. Schon
Tiere ziemlich wenig entwickelter Gattungen, Insekten z. B,
scheinen nicht nur stark durch einzelne grelle Farben, sondern
bereits durch feine Farbenkombinationen erregt zu werden.
Farbige Wirkungen erstreben auch die Wilden der verschiedensten
Erdteile in ihrer Bemalung und ihrem Schmuck, und man braucht
nur durch ein slavisches Dorf gewandert zu sein, um auch in
unserer N ähe die Farbenfrendigkeit primitiver Menschen zu er-
kennen. Denn das ist eine Tatsache, daß der Farbensinn mit
dem Steigen der Kultur nicht zu-, sondern abgenommen hat,
und es ist kein Zweifel, daß er in weiten Schichten gerade der
männlichen Bevölkerung heute bei uns direkt verkümmert ist.
Nur bei Frauen und Künstlern ist dieser Sinn heute noch stark
entwickelt; es geht aber durchaus nicht an, beim Menschen
etwa die Farbenverwendung der weiblichen Toilettenkünste, wie
bei Tieren, auf die Bewerbung zurückzuführen, denn jeder ge-
nauere Beobachter unseres Lebens wird zugeben, daß sich die
Frauen viel mehr in Rücksicht auf ihre Geschlechtsgenossinnen
schmücken als für den Mann, der nur selten ein wirklicher
Kenner dieser Künste ist.
Als eine Reaktion gegen diese allgemeine Verkümmerung
des Farbensinns ist in erster Linie die in neuer Zeit so stark
auftretende Bewegung in Kunst und Leben für die Farbe zu
erklären. Einzelne besonders visuell-sensorisch veranlagte In-
dividuen haben diesen Mangel der anderen erkannt und sind
mit großer Energie für das Daseinsrecht der Farbe eingetreten
Die ganze Entwicklung der modernen Malerei im 19. Jahr-
hundert, besonders der sog. Impressionismus, ist durch diesen
Willen zur Farbe charakterisiert.
Nun hätte ja dieser Typus in der Ornamentik und ver-
wandten Kunstzweigen sein eigenstes Gebiet; aber dieses König-
reich ist ihm zu klein, und so hat er vor allem sich auch ge-