566 ABSCHNITT IX: DIE KAPELLE SIXTUS IV. ALS KULTUSSTÄTTE
Die Matutin in
der Weihnachts-
nach:
tinen am Allerheiligentage, in der Weihnachtsnacht und am Mittwoch, Donners-
tag und Freitag der stillen Woche. Von den siebenundzwanzig Messen wurden
achtzehn von Kardinälen und neun von Prälaten celebriert. Sie fanden an allen
höheren Kirchenfesten statt, nämlich an den vier Adventssonntagen, in der
Weihnachtsnacht, am Stephanstage, am Tage Johannes des Evangelisten, an den
Festen der Beschneidung und Mariae Lichtmess, am Aschermittwoch, an allen
Fastensonntagen, am Donnerstag, Freitag und Sonnabend der stillen Woche, am
Montag, Dienstag und Sonnabend nach Ostern, am Trinitatisfest und Allerseelen,
am Jahrestage der Wahl und der Krönung des Papstes und endlich am Todes-
tage seines Vorgängers I).
Unter all diesen Kultusakten, deren Verlauf uns Burchard so umständlich
beschrieben hat, traten wieder einige durch besonderen Glanz hervor. Es waren
vor allem die Feiern der Weihnachtsnacht, des zweiten Februar, des Sonntags
Laetare, und endlich aller Gottesdienste der stillen Woche vom Palmsonntag
bis zum Sonnabend vor Ostern. Im Laufe der Jahrhunderte ist der Glanz
dieser Ceremonien allmählich verblasst, und heute wird das Heiligtum Sixtus IV.
überhaupt nur noch ausnahmsweise als Kultusstätte benutzte). Aber die Er-
innerung wenigstens an die ergreifendsten aller Kultusakte des ganzen Kirchen-
jahres, an die Mysterien der stillen Woche, wie sie jahrhundertelang in der
Sixtinischen Kapelle gefeiert worden sind, ist auch den heutigen Geschlechtern
noch nicht verloren gegangen.
Sehr eigenartig und phantastisch war auch die Feier der Matutin der Weih-
nachtsnacht, wie sie Sixtus noch selbst in seiner Kapelle gehalten hat. Aber
erst Paris de Grassis giebt einen ausführlichen Bericht, wie diese Ceremonie
unter Julius II. im Jahre 1504 gefeiert worden istß). Es war im Winter so
kalt und zugig in der grossen Kapelle, dass der Ceremonienmeister nicht nur
für die Erleuchtung, sondern auch für die Erwärmung des weiten Raumes zu
sorgen hatte. Ja, in früheren und späteren Jahren wurde der Kälte wegen
der Gottesdienst sogar häufig in das kleine Heiligtum verlegtßt). Paris de
Grassis befahl daher im Presbyterium wie im Laienraum ein Kohlenfeuer an-
zuzünden und in der Aula vor der Sala Regia liess er im Kamin ein mächtiges
Holzfeuer anlegen. Dann rüstete er nicht weniger als neununddreissig Fackeln
aus weissem Wachs, jede von ihnen fünf Pfund schwer. Vierundzwanzig davon
sollten die Schildträger Sr. Heiligkeit tragen, sechs wurden in die Marmor-
kandelaber auf der Cancellata eingelassen, sechs gehörten zum Altarschmuck,
zwei auf die Credenza, und eine einzige Fackel sah man in der Mitte des
Presbyteriums auf ehernem Leuchter über dem Buch, aus welchem die Lektionen
vorgelesen wurden. Die ganze Kapelle aber war festlich geschmückt, und auf
dem Altar prangten die zwölf Apostel mit dem Rovere-Wappen auf den Posta-
menten.
I) Vgl. Paris de Grassis, Ordo Romanus bei Martene a. a. O. I-X.
2) Es werden hier alljährlich die Totenmesse für den letztverstorbenen Papst und das Krönungs-
fest des regierenden Papstes gefeiert.
3) Cod. Vat. lat. 5635 p. 60' u. Ff.
4) Burchard, Diarium III p. 226. Biagio von Cesena (Codex der Bibl. Vittorio Emanuele in Rom)
p. 75 u. p. 126.