EUGENE
DELACROIX.
und Girodet vom: ln der That hatte {ich zur Zeit, wo Delacroix an {einer nBBIRC
des Danteu malte, jene neue Bewegung in der franzöfifchen Literatur, deren
Vertreter man fpäter unter dem Namen der nromanti-{chen Schulen zufammen-
fafste, kaum erit in ihren Keimen gezeigt, höchiiens in der Form einer allge-
meinen Unzufriedenheit mit der aus dem achtzehnten Jahrhundert hinüberge-
nommenen klafiifch-akademifchezi Richtung. Wenn man den Beginn diefer Be-
wegung an ein beftimmtes Datum knüpfen will, fo wäre es das Jahr 1823, in
welchem Viktor Hugo's abenteuerlicher Menfchenfreffer-Roman nHan dqslandeu
erfchien. Damals hatte Delacroix aber bereits feinen erPten grofsen Sieg davon
getragen und in den jugendlichen Geifiern, welche nachmals die romantifche Schule
bildeten, das unbeftimmte Gefühl erweckt, dafs Delacroix ähnliche Ziele verfolgte
wie fie, weshalb {ie zu feiner Lobpreifung und Vertheidigung die Federn zu rühren
begannen. Aus der Priorität Delacroix' erklärt es {ich auch, weshalb diefer es
nicht gern hörte, wenn feine Verehrer ihn den nViktor Hugo der Malereiu nannten.
Wenn der Dichter auch in fpäteren Jahren, namentlich durch die farbenglänzende
Rhetorik der vOrientalesu, einen gewiffen Eintlufs auf den Maler geübt hat, {o war
letzterer doch von vornherein zu den Quellen der Romantik gewallfahrtet, zu Dante,
zu Walter Scott und Lord Byron. Auch war Delaeroix eine viel feiner organifirte
künfilerifche Natur als Viktor Hugo. Er hat {ich niemals zu Extravaganzen und
Gefchmackloiigkeiten hinreifsen laffen, welche jedes Werk des Dichters entfiellen,
und das Bizarre und Ungeheuerliche hat {tets aufserhalb feiner Kunft gelegen.
Seine Genialität hat niemals die Klarheit feines Urtheils getrübt. Mit der deut-
fchen Romantik hat der franzöfifche nRomantismusu nur wenige Merkmale ge-
mein: zunächft bedeuten beide eine Reaktion gegen die in Kunit und Literatur
beftehenden Verhältnifie. Dann knüpfen beide an das Mittelalter an. Aber fchon
die Art, in welcher lie {ich die hiiiorifchen Stoffe des Mittelalters anzueignen
fuchen, ift grundverfchieden. Die deutfchen Romantiker vollziehen mit dem An-
{chlufs an das Mittelalter gewiffermafsen eine Weltflucht. Sie fühlen {ich in
diefem neu entdeckten Land der Träume fo wohl, dafs ihnen der Zufammen-
hang mit der Gegenwart vollitändig abhanden kommt und bald eine neue Re-
aktion nöthig wird. Die Franzofen holen fich dagegen aus dem Mittelalter das
Rüfizeug zu einem erbitterten Kampfe. Aus der blofs literarifchJrünftlerifchen
Reaktion wird" eine Revolution, welche fehr fchnell in das politifche Gebiet hin-
übergreift. Während die deutfche Romantik fich am Ende mit religiöfem Myfii-
zismus und politifcher Charakterlofigkeit verquickte, wenn {ie {ich nicht gar völlig
in den Dienft freiheitfeindlieher Politik ftellte, identifizirten {ich die franzöfifchen
Romantiker fchnell mit dem politifchen Liberalismus, deffen That die Revolution
von 1830 war. Mit der romantifchen Malerfchule, wie {ie fich in Düffeldorf ent-
wickelte, ifl die romantifchelMalerei Frankreichs vollends nicht zu vergleichen.
Die Düffeldorfer Romantik nverhält {ich zu jener ungefähr wie Fouque zu Dante:
die deutfche ift mild wie Mondfcheinglanz, Clüfief-melancholifch, in Thränen
zertliefsend und verfchwommen bis zur fchwächlichen Sentimentalität, die fran-
ZÖflfCllG Wild, majefiätifch, dramatifch blS zur Ekßafe, niederfchlnetternd und er-
hebend, flammend wie Wetterleuchten und fengend wie die Gluth der Tropen-
fonnea, Charles Baudelaire (1821-1867), der in Deutfchland wenig bekannte,