Volltext: Kunst und Künstler Italiens bis um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts (Abth. 2, Bd. 3)

TIZIAN. 
und bei der Stimmung, die, ein Gemifch von Gram und Sorge, ihn eben damals, 
kurz vor der Kataftrophe feiner Vaterftadt, erfüllen mufste, zweifelhaft, ob er den 
glücklichen Venezianer gefehen hat. Diefer aber war längft mit dem Genius 
Michelangelds in Berührung getreten. Hatte doch feit der Plünderung Roms im 
Jahre 1527 Sebaftian del Piombo feinen Aufenthalt in Venedig genommenf und 
neben ihm Sanfovino. Mochte der Letztere Groll gegen Michelangelo bewahren, 
von deffen Kunft hat er iicherlich, fei es in welchem Sinne immer, dem ihm nah 
befreundeten Tizian erzählt, und ganz ohne Zweifel hatte der für Michelangelo 
begeifterte Sebaftian den Genoffen in der Heimath nicht nur mit Worten, fondern 
wohl auch durch Skizzen nach der Siftina eine Vorftellung von dem Riefen- 
geifte vermittelt, dem er felbft in feinem künftlerifchen Wefen beinahe fklavifch 
unterthan geworden war. nll disegno di Michelagnolo ed il colorito di Tizianocr, 
diefes Ideal des jüngeren venezianifchen Künftlergefchlechtes, war in dem Bilde 
vom Tod des Petrus Martyr Wahrheit geworden. Es ift überaus lehrreich, an den 
Zeichnungen, die wir zu demfelben befitzen, das allmähliche Reifen der Compofition 
zu beobachten. Zwei befinden {ich in England (bei Mr. Malcolm und im Brit. 
Mufeum), eine Skizze in der Albertina in Wien, eine vierte im Berliner Mufeum, 
aufserdem Detailftudien im Mufeum zu Lille. Wenn auch das Wiener und das 
Berliner Blatt als eigenhändige Zeichnungen des Meifters preisgegeben werden 
müffen, flnd fie doch vermuthlich Copien nach feinen Entwürfen, wie dergleichen 
noch anderweit vorkommen. Das Hauptmotiv, die That an den Ausgang eines 
Waldes zu verlegen, beftand fafl: von vorn herein; aber erit nach und nach ge- 
langte Tizian durch Mäfsigung der Draftik des Ausdruckes zu der Großartigkeit 
des Tragifchen, iiwelches den Menfchen erhebt, wenn es den Menfchen zermalmtu. 
Wie der Gegenftand im Bilde abgefchloffen war, gewann der Befchauer den Ein- 
druck, als fei es ein halb freiwilliger Tod, den der Mönch erleidet. Der herku- 
lifche Mann fcheint noch Kraft genug zu haben, um fich des Feindes zu erwehren, 
aber wie er niedergeworfen auffchaut, theilen fich die Wipfel der Bäume, wunder- 
barer Glanz Ptrahlt hernieder, in welchem zwei Engelknaben fchwebend ihm die 
Palme des Sieges zeigen; von der Vifion ergriffen ergiebt er {ich in fein Schickfal 
und {heckt die Hand, anftatt {ie gegen den Mörder zu brauchen, empor, die 
Lieblichen zu grüfsen.. Situation und Ausdruck mahnen an Ibykus, wie er ver- 
fcheidend die Kraniche erblickt. Die heldenhafte Refignation kommt befonders 
zur Wirkung durch den Gegenfatz einerfeits der rohen Gewaltthat des Mörders, 
andrerfeits des baaren Entfetzens in der Geftalt des zweiten Mönches, welcher 
mit einer vom Künftler überrafchend richtig beobachteten und genial wieder- 
gegebenen Geberde anfcheinend nach allen Seiten zugleich entrinnen will, indem 
er den Kopf nach rechts, die Arme nach links, die Füfse geradaus wirft, ein 
Motiv ganz ähnlich dem des Soldaten auf RaffaePs Attila-Bilde in den Stanzen, 
der in einer anatomifch kaum möglichen Körperdrehung den gleichftarken Zug 
nach entgegengefetzten Richtungen fo fprechend veranfchaulicht. Auf T izialfs 
Bilde kommt zu der Energie der dramatifchen Erzählung das gemüthvolle Ele- 
ment hinzu, welches in der landfchaftlichen Staffage Ausdruck fand_ Wenn die 
fchon herbftlich gefärbten Bäume ihre Aefte wie Arme mitempnndender Wefen 
erheben,.wenn das Himmelslicht in ihren Wipfeln und der Windftols, der Iie be- 
Wegt, die Gegenwart der rächenden Gottheit verkündigen, breitet {Ich im Mittel- 
und Hintergrund die gaftliche Wohnftätte der Menfchen aus, die weder die Klage
	        
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