Volltext: Kunst und Künstler Italiens bis um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts (Abth. 2, Bd. 3)

WERKE 
DER 
LETZTEN 
JAHRE. 
Wollen und Thun dem Göttlichen 
und Wandeln mehr kennt. 
überantwortet 
kein 
Schwanken 
Die Landfchaft ifl breit und behaglich ausgeführt und erinnert hierinwic 
in dem klaren, hellen, warmen Ton an ähnliche Schöpfungen der Flamänder, 
Wenn in diefem Werke fich kein Nachlaffen der künftlerifchen Kraft des faft 
Neunzigjährigen zeigt, fo giebt {ich fogar ein Aufflammen aller Lebensfreude und 
alles Lebensmuthes der Jugend in einer Schöpfung kund, die fchon dem Nieder- 
gange feines Lebens angehört. Es ift dies ein Bacchanal, wozu er 1514 vom Her- 
zog Alfonso von Ferrara den Auftrag erhalten hatte (jetzt in der Sammlung 
des Herzogs von Northumberland zu Alnwick). Das Werk muthet an wie eine 
freie Umdichtung des Bacchus- und Ariadne-Motivs aus der Antike in die Welt- 
und Naturanfchauung der Renaiffance. In einer von den letzten Strahlen "der 
niedergehenderi Sonne durchleuchteten Waldlichtung, die nach rückwärts durch 
den Hügel von Cadore abgefchloffen wird, breitet {ich die fröhliche Gefellfchaft 
aus. Hermes ift der Mittelpunkt derfelben; fein Auge haftet auf den fchönen 
Formen einer Nymphe, die feitwärts an einen Baum gelehnt fitzt und zu fchlum- 
mern fcheint, während ein kecker Genoffe des Mahls ihr Gewand lüftet. Hermes 
ift umlagert von bacchantifch aufgeregtem Volk, das dem Genuffe des reichlich 
kredenzten Weines {ich hingiebt. Strotzende Lebensfülle und ungebundene 
Freudigkeit charakterifiren das Bild; keine der zahlreichen Geflalten bleibt un- 
berührt vom {tarken Wellenfchlage der Luft. 
Wenn Bellini in" feiner Jugend durch feinen Vater und feinen Schwager Man- 
tegna auf das Studium der Antike gewiefen ward, fo zeigt ihn das Werk feines 
Lebensabends ganz von deren Geift erfüllt, und mit völliger künfllerifcher Frei- 
heit aus demfelben herausfchaffend. 
Die Zeichnung des Bacchanals ift bis auf das Landfchaftliche durchaus fein 
Eigenthum; die Farbengebung überliefs der Achtundachtzigjährige einer jüngeren 
Kraft. Tizian trat hier für den Meifter ein und gab dem Bilde jene blühende 
Frifche, jene Gluth und Kraft des Tons, wie wir dem nur wieder in feinen reif- 
{ten Werken begegnen?) Das Bacchanal fymboliürt gleichfam den Uebergang 
des Primats der venezianifchen Malerei von Giovanni Bellini auf Tizian.  
Bellini's langes, reiches Künftlerleben war ein ununterbrochenes Fortfchrei- 
ten aus den befangenen Kunfttraditionen feiner Heimat, dem engherzigen Rea- 
lismus der älteren Paduaner zu einer freien edlen Auffaffung der Natur, für 
deren Darflellung dann die formenfichere Hand und die Findigkeit für alle Reize 
des Lichtes und der Farbe nicht mangelte. Dies Errungene hinterliefs er nun 
als Erbe einer jungen Generation, die ihn zwar nicht an Intenfivität, wohl aber 
an Beweglichkeit der Phantafie übertraf und nun die Malerei zu jener Vollendung 
führte, deren fie auf venezianifchem Boden fähig war. 
Bellini {tarb als Neunzigjähriger am 29. November 1516. Ganz Venedig 
trauerte um den Künftler, dem es mit zu danken hatte, dafs der politifchen Gröfse 
flch nun auch der künftlerifche Ruhm gefellte.  Er erhielt feine Grabftätte an 
der Seite feines Bruders in der Kirche S. Giovanni e Paolo. 
Dohme. Kunst u. 
Künstler. 
66, 67 u.
	        
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