REISE
NACH
DANZIG.
nicht frei von allerlei Ungemach. Endlich grüfst ihn über weite Landfchaft
hinüber bei Oliva die See. Nun kommt er zum Weichbilde der Vateritadt, er
reitet ein zum Thor, wo eben die Wache vor dem vorüberfahrenden Bürgermeifter
ins Gewehr tritt. Jetzt fteht er vor dem Elternhaus; die beiden Stecklinge, die
der Vater einft bei der Geburt feiner beiden Söhne vor dem Beifchlag gepflanzt
und Daniel und Gottfried getauft hatte, {ind mehr als vierzig Jahre liegen da-
zwifchen zu mächtigen Bäumen herangewachfen. Nun fleht er in der ein-
fachen Stube der Mutter, deren Töchter eine kleine franzölifche Schule halten.
Unter den Mädchen, die damals den Unterricht der Demoifelles Chodowiecka ge-
noffen, ifl Eine, deren Namen einen guten Klang gewonnen in der Gefchichte
unferes geiftigen Lebens, durch eigene Arbeit, mehr noch durch ihren groisen
Sohn, Johanna Schopenhauer. Sie erzählt aus jenen Tagen; nDlC düftere Stube
in der Schule, mit ihren getäfelten Wänden, von durch die Zeit gebräuntern
Eichenholz, in der wir dennoch fo fröhliche Stunden verlebten ä das grofse,
aus mehreren Hundert kleinen Scheiben zufammengefetzte Fenfter, liehen noch
fehr lebhaft in meiner Erinnerung.
vln der Ecke diefes Fenfters thronte in ihrem geräumigen Sorgenfhihl eine
uralte Frau mit fchneeweifsem Haar, in etwas fremder, fehr "fauberer, aber ein-
facher Tracht. Das Alter hatte ihr Auge mit einem immer dichter werdenden
Schleier umzogen, doch ihren heitern Sinn nicht zu verdunkeln vermocht. Deutfch
fprach fic wenig und ungern, {ie war eine geborne Franzöfm und hatte als Huge-
nottin, ihres Glaubens wegen, aus ihrem fchönen Vaterlande flüchtig werden
müffen, aber fowohl Tracht als auch Sitten und Sprache des franzöfifchen Bürger-
Pcandes beibehalten. Ihr Alter und ihr fchwaches Geficht erlaubten ihr nicht,
ihren beiden auch fchon ziemlich bejahrten Töchtern in der Leitung der Schule
beizuftehn, aber fle War doch gern mitten unter den Kindern. Mich hatte fie zu
ihrem Liebling erkoren, ich durfte dicht zu ihr hinflüchten, wenn das Getobe
der wilden Knaben zu arg wurde. Dann nahm fie mich auf den Schofs und
fagte mir allerlei leichte franzöfifche Redensarten vor, die ich zu ihrem gröfsten
Vergnügen wie ein gelehriger Papagei nachplapperte, und zuletzt auch wirklich
verftehen lernte. Der Name diefer Frau wird in der Kunflgefchichte unferer
Tage nie untergehen, denn fie war die Mutter des bisher in feinem Fache un-
erreichten Chodowiecki.
nWährend eines Befuches von einigen Tagenu, (der Danziger Aufenthalt
währte längere Wochen, die Erzählerin irrt hier) nden er in Danzig bei feiner
Mutter ablegte, liefs er {ich auch in unfere Schulftube führen. Neugierig fah ich
wie der fremde ernfte Mann ein Tifchchen hin- und herrückte, bis es ihm recht
ftand. Seine beiden SchwePcern gingen indefs freundlich zuredend durch unfere
Reihen, verfprachen Thorner Pfefferkuchen, Rofmen und Mandeln, die Hülle und
Fülle, wenn wir nur ein kurzes Stündchen, fo wie wir eben fafsen und Ptanden,
ruhig bleiben wollten. Der fremde Mann fetzte {ich inzwifchen an feinen Tifch,
legte Papier vor fich hin, packte Bleiflifte aus, {ah aufrnerkfam umher, fchrieb
etwas, wie es mir fchien, fah wieder auf, fchrieb wieder, ich hielt mich nicht
länger. Ich vergafs Rofinen, Mandeln und Pfefferkuchen und alles; leife wie ein
Kätzchen, fchlich ich zwifchen und unter Tifchen und Stühlen zu ihm hin, und