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Vierte Vorlesung.
Das Schultergelenk kann uns als Beispiel für das
Studium der Gelenke im allgemeinen dienen. An jedem
Gelenk mus man die gegenseitige Form der sich berühren-
den Knochenflächen kennen; man kann dann aus dieser
Form die in dem Gelenk möglichen Bewegungen ableiten.
Ferner aber muss man sich unterrichten über die Anordnung
der Ligamente, d. h. der faserigen Bandmassen, die von
einem Knochen zum anderen gehen, und kann wieder aus
dieser über die Grenzen der überhaupt ausführbaren Beweg-
ungen Schlüsse ziehen.
In dem Schultergelenk sind die Gelenktlächen gebildet,
einerseits durch eine ganz flache Grube, die Gelenkgrube
des Schulterblattes, andererseits durch den glatten, gleich-
mässig runden Kopf des Oberarmbeines. Eine derartige
Bildung der sich berührenden Flächen gestattet dem Kopf
Gleitbewegungen in der Grube nach jeder beliebigen Rich-
tung und ermöglicht somit für den Oberarm Bewegungen
in allen Richtungen des Raumes, nach vorne, nach hinten,
nach innen gegen die Mittellinie des Körpers (Adduction),
nach aussen, von der Mittellinie des Körpers fort (Abduction,
Erhebung).
Der Bandapparat des Gelenkes wird durch eine Ge-
lenkkapsel gebildet, d. h. durch eine Art Sack aus Sehnen-
gewebe, welcher einerseits an dem Umfang der Gelenk-
grube, andererseits am Oberarmbein gleich ausserhalb des
anatomischen Halses angeheftet ist. Dieser Sack ist schlaff
genug, um dem Kopf des Oberarms in seinem Inneren freien
Spielraum zu gewähren, so dass er bequem nach allen Rich-
tungen auf der Gelenkgrube gleiten kann, ohne dass ein
Teil der Kapsel angespannt würde und dadurch die Beweg-
ung hernmte. Deshalb ist die Bewegung des Armes nach vorne
in sehr ausgiebigem Mass möglich, desgleichen die Bewegung
nach hinten und auch die nach innen, welche erst durch
die Anlagerung des Armes an die Seite des Rumpfes be-
schränkt wird. Aber die Bewegung der Abduction oder die
Erhebung des Armes wird schwierig, sobald der Arm sich