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Viqrundzwanzigste Vorlesung.
auch eine beachtenswerte geschichtliche Zusammenstellung
der Frage finden.
Einenglischer, durch seine Untersuchungen über das
Nervensystem berühmter Physiologe, Charles Bell, hat
auch eine Untersuchung der einzelnen Ausdrucksformen im
Gesicht in Angriff genommen i). Aber wenn auch sein Werk
malerische Beschreibungen und wundervolle Abbildungen
enthält, hat es doch mehr Wert für den Physiologen als für
den Künstler, denn der Verfasser bemüht sich besonders ein-
gehend, die Nerven, welche die Muskeln zur Bewegung an-
regen, aufzusuchen, und die innigen Beziehungen zwischen
den Atembewegungen und dem Gesichtsausdruck festzustellen,
alles Fragen, die für den bildenden Künstler keine unmittel-
bare Bedeutung haben.
Bei dem Werk von Lavater finden wir gute Abbil-
dungen, merkwürdige Beobachtungen, aber immer an das
Studium der Physiognomik anknüpfend, und das oft ohne
Ordnung, ohne regelrechte Folge, begleitet von Abhandlungen
über seltsame Gegenstände, wie die Kapitel, welche von den
(rVorstellungen und Gelüstem, von (rwarzen und Haaren),
aVon den Linien der Tierheib) handeln.
Um eine Vorstellung von der Art und _Weise zu ge-
winnen, Wie damals die Schriftsteller das Studium der Phy-
siognomik betrieben, indem sie diesen schwierigen Gegen-
stand zur einfachen Gefühlssache machten und ihre wissen-
schaftlichen Abhandlungen in diese Grundlage von Gefühls-
schwärmerei verwebten, möge hier das Werk von Sue (Phy-
siognomie der lebenden Wesen vom Menschen bis zur Pflanze,
Paris 1797) erwähnt werden, Inmitten eines langen schyvül-
stigen Aufsatzes über "die Physiognomie in ihren Beziehungen
zu den Leidenschaften, drückt er sich beispielsweise über
den Mund folgendermassen aus: Ein zarter und reiner Mund
ist vielleicht eine der schönsten Empfehlungen; die Schön-
m) Anatomie und Physiologie des Ausdrucks 1844. (3. Auflage
dem Tode Ch. Balls mit seinen letzten Verbesserungen erschienen).
nach