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Vorlesung.
Vierundzwanzigste
oder einige der Hautmuskeln zur Zusammenziehung bringt,
annehmen müssen. Wir werden so finden, dass man diese
Muskeln wohl mit Namen bezeichnen kann, wie Muskel der
Aufmerksamkeit, des Schmerzes, des Drohens, des
Lachens, des Weinens, der Verachtung, des Ekels
u. s. w. Aber es ist hier durchaus nicht unsere Aufgabe, die
qruhende Physiognomiew zu studieren, wie sie uns durch
die regelmässige und dauernde Hervorhebung einzelner Züge
die Geistesrichtung des betreffenden Menschen, und die ihn
am häufigsten bewegenden Leidenschaften enthüllt. Ohne
Zweifel haben diese beiden Studiengebiete vielerlei Be-
rührungspunkte untereinander; wir müssen zugeben, dass bei
einem Menschen, der sich häufig Zorn- und Wutausbrüchen
hingiebt, die oft wiederholte Zusammenziehung der Muskeln,
Welche diese Leidenschaften ausdrücken, allmählich die Züge
des Gesichtes derart gestalten können, dass gewissermassen
ein Abdruck der heftigen Gefühle, die es am häufigsten er-
regt haben, zurückbleibt.
Aber diese Zergliederung der Geistesrichtung eines
Menschen durch die Untersuchung seiner aruhenden Phy-
siognomiex ist ein sehr heikles Ding, welches noch sehr viel
Ungewisses bietet und zu philosophischen Erörterungen führen
würde, die uns von dem Boden der Anatomie zu weit ab-
lenken Umüssten. Dagegen ist die Untersuchung der Frage,
welchen bestimmten Ausdruck die Zusammenziehung dieses
oder jenes Muskels dem Gesicht verleiht, seit den Unter-
suchungen von Duchenne (in Boulogne) ein Studium ge-
worden, das ganz die gleiche Genauigkeit und Sicherheit
der Beobachtung gestattet, wie wir sie für anatomische Un-
tersuchungen fordern müssen.
Vor den Untersuchungen Duchennes beschäftigten
sich die meisten Bücher über den Gesichtsausdruck fast aus-
schliesslich mit der (Physiögnomikx, d. h. der Erkenntnis
der Gesichtsrichtung durch das Studium des gewöhnlichen
Zustandes der Gesichtszüge. Wir müssen hier besonders an
die Werke von Le Brun, Camper, Lavater, C. Bell,