Vorlesung,
Erste
leidenschaftliche Erregung im Gemälde oder Bildhauerwerk
nur durch ganz bestimmte Veränderungen in der Gesamt-
haltung des Körpers und der eigenartigen Muskelbewegung
des Gesichtes ausgedrückt werden kann, dürfen wir den oben
genannten Zielen unseres Studiums als weitere noch hinzu-
fügen die Erkenntnis des Ausdrucks von Gemütsbeweg-
ungen und Leidenschaften.
Das ist das Ziel, welches wir zu erreichen haben. Man
könnte vielleicht zunächst annehmen, dass wir an dieses Ziel
gelangen würden, wenn wir der Reihe nach in einem ersten
Abschnitt alles das behandelten, was sich auf die Propor-
tionen, die Massverhältnisse unseres Körpers bezieht, dann
in einem zweiten Abschnitt das, was sich auf die Formen
bezieht, darauf die Stellungen u. s. w.
S0 folgerecht an sich ein derartiges Vorgehen wäre, würde
es doch den Nachteil haben, zu zahlreichen Wiederholungen
zu führen und um so weniger angebracht sein, da wir künstlich
Gegenstände voneinander sondern müssten, welche in dem Bau
des Körpers auf das Engste mit einander verbunden sind. So
sind zum Beispiel die Formen teils durch Knochenvorsprünge,
teils durch Weiche, Heischige oder sehnige Körperteile be-
dingt; die Stellungen sind bedingt durch die Muskeln, aber
sie sind Gesetzen unterworfen, welche aus den Gelenkver-
bindungen der Knochen abgeleitet werden müssen; und
ebenso bedarf es, um Bewegungen richtig darzustellen, einer
Berücksichtigung der Grenzen, welche das knöcherne Hebel-
werk zulässt (Stellung der Knochen, Art ihrer Gelenkver-
bindung); ferner der Thätigkeit des Muskels und der Form-
unterschiede, welche durch das Anschwellen und Anspannen
der thätigen Muskeln bestimmt werden, während die ihnen
entgegenwirkenden erschlafft sind. Selbst die Proportio-
nen könnten nicht klar dargelegt werden ohne genaue Kennt-
nisse des Knochengerüstes, denn nur die Knochen können
uns Marken für genaue Messungen bieten und die Kenntnis
der Knochen in ihren Gelenkverbindungen ist unerlässliche
Bedingung, wenn man nicht durch gewisse auffallende