Erste
Vorlesung,
Körper vor Augen hatten, die Einzelheiten seiner Form sich
einzuprägen und über die Veränderungen derselben während
der Thätigkeit durch Erfahrung ebenso genaue Kenntnisse.
zu erwerben, wie sie uns heutzutage das regelrechte Studium
der Anatomie und Physiologie verschafft. Vergegenwärtigen
wir uns zunächst, welche besondere Sorgfalt die Alten auf
die Ausbildung der Kräfte und der körperlichen Schönheit
durch die Uebungen in den Gymnasien verwandten. Schon
beim Homer sehen wir die Helden sich im Wettlauf, im
Diskuswerfen und im Ringkampf üben; später kommen die
Uebungen der Athleten als Vorbereitung zu dem Kampf um
den Siegerkranz bei den olympischen Spielen, und trotz der
abweichenden Ansichten, zu denen uns der Anblick moderner"
Ringkämpfer und Akrobaten verleiten könnte, dürfen wir uns
vorstellen, dass der Beruf eines Athleten derzeit als höchst.
ruhmreich betrachtet wurde; ein Beruf, dessen Ausübung
Schönheit und Tadellosigkeit voraussetzte, musste an sich
einen wahren Adel begründen. Aber auch auf die griechische
Kunst musste das Leben im Gymnasium einen bestimmenden
Einfluss ausüben. Den Siegespreis bei den olympischen Spielen
bildete eine Palme, ein Blätterkranz, eine künstlerisch aus-
geführte Vase; aber ausserdem, und darin lag die grösste.
Auszeichnung, wurde die Bildsäule des Siegers von dem
jeweilig berühmtesten Künstler angefertigt; so bildete Phidias
den Körper des schönen Pandareos, und derartige Bild-
säulen der Preiskämpfer, welche fast die einzigen Urkunden
über die Olympiaden bilden, machten es Emeric David _mög-
lich, die griechische Zeitrechnung wieder herzustellen. Zu
diesen Kunstwerken, die als Vorbilder der Kraft und Schön-
heit galten, konnte der Künstler sich lange Zeit hindurch
in das Studium seines Modells vertiefen, da er es täglich
nackt beobachten konnte, vor der Uebung während der
Abreibung mit Oel, während des Wettlaufes und Wett-
sprunges, wobei die Muskeln der Beine vertreten, während
der Uebung mit dem Diskus, welche die Anspannung der
Arm- und Schultermuskeln zum Ausdruck bringt, und