Volltext: Grundriss der Anatomie für Künstler

Erste 
Vorlesung. 
anatomischer oder physiologischer Beziehung an ihnen tadeln 
kann. Die Muskelwülste z. B. sind nicht nur genau an der 
richtigen Stelle angedeutet (Anatomie), sondern sie erscheinen 
auch für den gleichen Muskel der rechten oder linken Seite mehr 
oder weniger stark vorragend, je nachdem  entsprechend 
der Art der Bewegung  der Muskel der betreffenden Seite 
zusammengezogen, d. h. vorgewölbt, oder in Ruhe, d. _l1. er- 
schlafft und verhältnismässig flach ist (Physiologie).  In 
der Zeit, als diese Meisterwerke geschaffen wurden, waren 
noch niemals anatomische Studien oder überhaupt eine Zer- 
gliederung des menschlichen Körpers versucht worden. Die 
Scheu vor der Menschenleiche war damals so gross, dass selbst 
die Aerzte, welche doch dringende Veranlassung zu derartigen 
Studien gehabt hätten, noch niemals einen menschlichen 
Leichnam geöffnet hatten.  Um dem Mangel unmittelbarer 
Kenntnis abzuhelfen, hatte Hippokrates Tiere zergliedert, 
und man hatte aus der Anordnung der Körperteile. im Säuge- 
tier auf die Anordnung der Teile im menschlichen Körper ver- 
gleichsweise Schlüsse gezogen. Selbst Galen hatte nur Affen 
zergliedert in dem Bestreben, Tiere zur Untersuchung zu be- 
nutzen, deren anatomischer Bau dem des Menschen vermut- 
lich am ähnlichsten war; Galen hat sogar nicht einmal ein 
Menschengerippe besessen; an einer Stelle seiner anato- 
mischen Werke preisst er sich glücklich, dass er endlich 
einmal in Musse Menschengebeine habe untersuchen können, 
welche das Hochwasser eines Flusses in eine sumpfige Gegend 
gßschwemmt hatte. 
Anscheinend liegt in der Thatsache ein auffallender YVider- 
Spruch, dass einerseits die griechischen Künstler in ihren 
Werken die grösste anatomische Genauigkeit zeigten, während 
andererseits weder sie selbst noch ihre Zeitgenossen unter den 
Aerzten oder Wundärzten jemals Anatomie des Menschen 
durch Leichenzergliederung studiert hatten. Aber der Wider- 
Spruch gleicht sich aus, wenn man die Verhältnisse ins Auge 
fasst, welche es den Künstlern ermöglichten, da sie fort- 
während den nackten, lebenden, bewegten menschlichen
	        
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