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Zierde gereicht, wird durch die Kürze der Beine ihre
Gestalt geschädigt. Freilich lässt sich nicht in Abrede
stellen, dass kürzere Glieder der Entwickelung der plasti-
schen Formen der letzteren günstiger sind als lange. Bei
diesen sieht es nicht selten aus, als 0b die unter der Haut
liegende Musculatur hätte gereckt werden müssen, um für
die langen Glieder zu genügen.
Wenn uns Modelle vorgeführt würden, welche die
Proportionen des Apoll vom Belvedere oder des Apoxyo-
menos hätten, so würden wir diese gewiss als NVunder von
Schönheit anstaunen, falls sie auch die Formen der ge-
nannten Antiken zeigten; aber solche Modelle finden wir
nicht. Wo wir mit dem Leben zu thun haben, können wir
sicher sein, dass bei so gestreckten Gliedern bereits die
Formen gelitten haben.
Die Weiber haben im Durchschnitt kürzere Beine als
die Männer und dies berücksichtigt auch die künstlerische
Darstellung. Aber wie es in der Natur Ausnahmen gibt,
so macht sich auch die Kunst ihre Ausnahmen. Solche
finden sich nicht etwa nur in der Kunst der Spätrenaissancc
und des Barockstyls, sondern auch unter den Antiken.
Eine Frauengestalt, welche die mittlere relative Beinlängc
der Männer und selbst eine etwas grössere zeigt, ist des-
halb weder unnatürlich noch unschön. Eine hässlich kurz-
beinige weibliche Figur Endet sich auf den Fresken des
nPalazzo Farnesea in Rom. Es ist diejenige, welche neben
dem tamburinschlagenden Herkules sitzt, wahrscheinlich
eine Omphale. Dagegen ist die Juno desselben mytholo-
gischen Cyklus, entsprechend dem Wuchse, den man ihr
zuschrieb, in den Proportionen einer grossen Frau gehalten.
YVenn man einer Figur relativ kurze Beine macht,
muss man ihr kräftige Glieder geben. Sie entspricht
dann wenigstens einer normalen Wirklichkeit, der des
gcdrungenen Baues kräftiger Gestalten. Solche Figuren
können als Karyatiden an gewissen Bauwerken nicht nur
von guter YVirkung, sondern auch die allein möglichen sein,
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