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jahresausstellung des Wiener Künstlerhauses von 1884
befand sich eine überlebensgrosse Gypsgruppe, deren weib-
liche Figur, obgleich sie durch ihre Schönheit Wirken
sollte, diesen Fehler in auffälliger XVeise zeigte.
Der Realismus rechtfertigt ihn, weil man ihn in der
Wirklichkeit in der That sehr häufig sieht, und auch bei
sonst durchaus wohlgestalteten Menschen durch die Con-
traction des Spanners der grossen Schenkelbinde der äussere
Contour des Oberschenkels flach und schwunglos wird.
Der Holzschnitt (Fig. 28) ist getreu nach der Photo-
graphie eines ausgezeichneten akademischen Modells an-
gefertigt. Aber die Linie ist gelegentlich doch so schlecht,
dass man sie vermeiden muss. Am besten bleibt sie bei
Individuen, deren Oberschenkel in ihrem mittleren Theile
eher nach aussen als nach innen gekrümmt sind, und bei
denen der Rollhügel wenig hervorragt, wenn sie dabei
eine gut entwickelte Musculatur haben und das Fett des
Oberschenkels so vertheilt ist, dass es die Rundung des
äusseren Contours vermehrt.
Wenn das Modell diesen Fehler zeigt und man (las-
selbe nicht wechseln will, so muss man suchen, wenn es
die Action sonst zulässt, auf der Seite des Spielbeines mehr
Stütze zu geben und dadurch eine günstigere Conüguration
zu erzielen. In der Praxis scheuen sich auch die Künstler
nicht, in solchen Fällen einfach nach dem Gefühle zu
corrigieren.
Ein häufiger Fehler der Modelle, Männer und XVeiber,
sind dicke Knie. Sie sind sehr hässlich, und so oft sie auch
bei sonst Wohlgestalteten Individuen vorkommen, so soll
sich der Künstler doch nie verführen lassen, sie nach-
zumachen. Die griechischen und römischen Bildhauer ver-
meiden sie sorgfältig. Selbst der farnesische Herkules,
gewiss die plumpste Figur, die das Alterthum uns hinter-
lassen hat, hat keine dicken Knie.
Die Ursache dicker Knie ist zunächst ein grober
Knochenbau und damit verbundene grössere Dicke der
dem
Gefühle
ZU