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und Haltung besser gefunden als da, wo Lasten, je nach-
dem sie leichter oder schwerer sind, am Arme oder auf
dem Rücken getragen werdenl).
Breite Hüften gelten im grossen Publicum an Männern
für hässlich, an Weibern für schön. Letztere Ansicht hat sich
aber nicht infolge der Anschauung des Nackten, sondern
infolge der Tracht ausgebildet, die zu verschiedenen Zeiten
darauf ausgieng, die WVeichen einzuschnüren und nun die
Hüften darunter möglichst breit hervortreten zu lassen.
iii") G. B. Duchen n e (d e Boulogn e) sagt in seiner vMechanik der
Bewegungenw (deutsch von C. Wernicke, Cassel und Berlin 1885, S. 580):
muglaube ich, dass eine Beckenneigung von 63-64 Grad und die ent-
sprechende Lumbosacralkrümmnng am allgemeinsten sindß
vDamit will ich nicht sagen, dass diese letztere Krümmung der
Aesthetik als etwas Absolutes, als eine Regel, die den schönsten Formen
zukommt, auferlegt werden muss, da ja bewiesen wurde, dass die physio-
logische Sattelbildunge (sie kommt nur bei starker Beckenneigung vor, da
der Sattel eben durch die Rückseite des stark geneigten Beckens gebildet
wird. B.) seiner der unterscheidenden Charaktere mancher Rassen ist, da sie
in gewissen Familien, an gewissen Ortschaften erblich herrscht, womit der
Künstler rechnen muss, da sie endlich mit Recht als eine der Eigenschaften
gilt, die zur Schönheit der Körperliniexi, besonders bei den Frauen, ganz
besonders beiträgt. Uebrigens würde schon die antike Kunst gegen ein
solches Gesetz Verwahrung einlegen, denn man findet bei einigen Statuen
sehr schöne Typen von Sattelbildung, und dieselben waren bei den Griechen
sehr gesucht. Bekanntlich leitet ja auch die Venus czzllzlzöygos von dieser
besonderen Schönheit ihren Namen herxt
XVas zunächst diese letztere anbelangt, so ist es schwer, an ihr die
Beckenneigung und Wirbelsäulenkrünimung zu beurtheilen, welche sie in ein-
fach aufgerichteter Haltung zeigen würde. Es ist dies so schwer wegen der
ungewöhnlichen Stellung, in welche die Figur gebracht ist. Ausserdem glaube
ich, dass die hohe künstlerische Vollendung derselben, die Canova veranlasst
haben soll, die Ergänzung abzulehnen, noch nicht berechtigt, sie für einen
der Repräsentanten der eigentlich klassischen Kunst der Griechen zu halten.
Ich polemisiere ungern gegen den um das hVohl der Menschen und
um die Wissenschaft so hoch verdienten Duchen n e, aber auf zwei Punkte
muss ich den Leser aufmerksam machen:
1. Wenn Duchenne von der Beckenneigung sdricht, so spricht
er von der habituellen, von der, welche das Individuum beim aufrechten
Stehen zu haben pflegt; ich aber spreche von der anatomischen Becken-