Spezielle
Knochenlehre.
Haut glättet sich überdies oder legt sich durch das Spiel der Muskeln
in Falten und steht durch ihren verschiedenen Spannungsgrad im Dienste
der Mimik. Wie viel man von einem Kopfe hält, den eine hohe und
breite Stirn schmückt, weiß jeder. Die Wissenschaft trotzt aber den ge-
läuügen Vorstellungen des täglichen Lebens, wenn es sich um fest er-
kannte Prinzipien handelt, und so verfahrt sie auch in diesem Falle.
Gesichtsschädel ist ihr nur jener aus 14 Knochen bestehende
Keil, der seine Basis von der Nasenwurzel bis zum Kinn er-
streckt, und dessen stumpfe Spitze in der Gegend des großen
Hinterhauptsloches liegt. Die Stellen, wo I-Iirnkapsel und Gesichtsschädel
zusammenhängen, liegen innerhalb zweier Ebenen, welche von der Nasen-
wurzel (Fig. 37) gegen den vorderen Rand des Hinterhauptsloches hinab-
reichen. Die Ausdehnung des Gesichtsschädels ist in der Fig. 37 schattiert.
Der wissenschaftliche Boden, auf welchen wir uns hier stellen, ver-
langt, daß von der Betrachtung des Gesichtsschädels die Stirn, zunächst
wenigstens, ausgeschlossen bleibe. Hirnschädel und Gesichtsschädel haben
in ihrer ersten Anlage und in ihrem weiteren Wachstum einen gewissen
Grad von Selbständigkeit. Der erstere ist schon viel früher in seinen
Hauptformen erkennbar als der letztere. Sodann schreitet jeder dieser
Teile unabhängig von dem anderen in seinem Ausbau weiter. Eigenartige
Gestaltungen können auf dem Gebiete des einen sich entwickeln, ohne
notwendig die Formen des anderen zu beeinflussen. Der Hirnschädel
kann sehr groß sein eine mächtige Stirn deutet auf reiche Entfaltung
des Inhaltes während das Gesicht unverhältnismäßig klein ist. Aber
das Umgekehrte kommt häufig genug vor, ein großes Gesicht, die Backen-
knochen und die zahntragenden Teile von einem über das Maß hinaus-
gehenden Umfang und darüber ein kleiner Hirnschädel mit niedriger
oder flach zurückweichender Stirn. In beiden Fällen wird der Eindruck
auf den Beschauer ein sehr verschiedener sein. Dort kann er den Ein-
druck geistiger Kraft, hier den roher, ungezügelter Genußsucht hervorrufen.
Selbst bei krankhaften Mißbildungen zeigt sich noch die Unabhängigkeit der
beiden Abschnitte. Im Bereich des Gesichtsschädels können Hasenscharte und Wolfs-
rachen die ganze Gestalt des häutigen und knöchernen Antlitzes verkümmern, während
der naheliegende Hirnschädel, namentlich die an der Basis befindlichen Teile, nicht
im geringsten von diesen Störungen ergriffen werden. Man hat umgekehrt schon das
Schädeldach samt dem Gehirn bei neugeborenen Kindern fehlen sehen, und dennoch
war das Gesicht regelmäßig entwickelt.
Die Kenntnis der Massenverteilung des Gesichts- und I-lirnschädels
giebt für Wissenschaft wie Kunst wertvolle Aufschlüsse über das archi-
tektonische Prinzip in der Gestaltung des Kopfes. Deckt man an einem
Schädel jenen Teil, der das Gehirn umschließt, so bleibt von dem
knöchernen Gerüst ein verhältnismäßig, kleiner Abschnitt übrig, der die
Knochen des Gesichtes umfaßt. In dem Übergewicht der menschlichen
Hirnkapsel gegenüber dem Gesichtsschädel (Eig. 37) liegt der Vorzug des