Knochenlehre.
Spezielle
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wenigen Hilfsmitteln ist ein unendlicher Wechsel in der Form erreicht.
Ist doch jedes Individuum durch kleine Änderungen der Teile desselben
charakterisiert. Das Geschlecht prägt ihm seinen Typus auf, das Alter
und die Rasse. Es lasst sich nur ein im allgemeinen zutreffendes Bild
des Schädels entwerfen, namentlich auch seines Gesichtsteiles, denn die
Verschiedenheiten sind zahlreich, wie die Gesichter der Lebenden. Der
Knochen ist dabei das Fundament für jede K0pf- und für jede
Gesichtsbildung; hat der Lebende eine Stumpfnase, sind auch die
Nasenknochen von übereinstimmender Form; ist der Nasenrücken gerade
und in einer Flucht mit der Stirne, wie in dem einfachen Profil der
Antike, dann ist auch die Bildung am Schädel die gleiche; ist aber die
Nase des Lebenden tief eingesetzt, und im Winkel gegen die Stirne ab-
gesetzt, dann ist das auch am Knochen ebenso geprägt. Dasselbe gilt
von allen anderen Teilen; die Backenknochen können anliegen oder her-
vorragen, der Unter- und Oberkiefer kann gerade herabsteigen oder vor-
oder zurückspringen, proportioniert sein zu dem Obergesicht oder das
Maß überschreiten. Von all diesen Eigenschaften hängt schöne oder
haßliche Gesichtsbildung ab, wobei schöne und haßliche Knochenformen
an einem und demselben Antlitz aneinanderstoßen. Der Künstler sollte
sich mehrere Schädel auf die Verschiedenheit hin ansehen, denn in dem
folgenden kann, um nicht zu viel Raum in Anspruch zu nehmen, nur die
Mittelform beschrieben werden.
Der Schädel ist aus 21 verschieden gestalteten Stücken zusammen-
gesetzt. Mit Ausnahme eines einzigen, des Unterkiefers, sind sie bei dem
Erwachsenen fest und unbeweglich zusammengefaßt und so innig verbunden,
daß unter günstigen Umständen selbst Jahrtausende den Zusammenhang
nicht lösen. Die zumeist breiten und flachen Knochen bilden die Wandungen
von Höhlen für die Aufnahme des Gehirns und der Sinnesorgane.
Hirnschädel.
Die Form der Hirnkapsel ist, von oben her betrachtet, in der Drauf-
sicht, ein unverkennbares Oval, das aber bei den verschiedenen Arten des
Menschengeschlechtes, auch denen Europas, entweder mehr kurz und
gebauoht oder mehr lang und schmal ist. Schädel der ersteren Art nennt
man Rund- oder Kurzköpfe (Brachycejahalen), letztere Langschädel (Dolioho-
cephalen). Der obere Teil heißt Schädeldach (Calivaria) im Gegensatz
Zu der Grundfläche (Basis). Die einzelnen Regionen der Hirnkapsel
werden ebenso wie an dem Kopf des Lebenden als Stirn, als Scheitel,
als Hinterhaupt und als Schlafen unterschieden. Das umfangreiche
Gehirn liegt in einem großen Raum, den man schlechtweg Schädelhöhle
nennt (Oawm craniz"). Die weite ovale Kapsel, welche sich bis zur Stirn
und bis zum Hinterhaupt erstreckt, wird von dem Gehirn samt den Ge-
faßen und Hirnhauten ausgefüllt.
KOLLMANN, Plastische Anatomie. II. Auü. 5