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Zweiter Teil.
Dritter Abschnitt.
Mechanik der Stellungen und der Ortsbewegung,
Haltung, bei welcher die Ellbogen auf den Tisch gestemmt und der Kopf in die hohle
Hand gelegt wird. Kinder entdecken von selbst diese Stellung und sie ist bei ihnen
so häufig zu sehen, daß sie geradezu charakteristisch ist. Auf dem berühmten Werke
RArnAnUs, der Sixtinischen Madonna, stemmt einer jener Engel am Fuße des Bildes
seine Hand gegen das Köpfchen und in den lieblichen Darstellungen von Kindern
anderer Meister giebt es viele Varianten ein und derselben Erscheinung. Nicht
Laune treibt das Kind dazu, Kopf und Rumpf zu stützen, sondern die Ermüdung
der Riickenmuskeln, welche durch die Schwere des Rumpfes bedingt ist.
Eine andere Form der vorderen Sitzlage ist möglich durch Aufstemmen des
Armes auf den Oberschenkel, wie es die Figur 250 darstellt. Der Rumpf ist in
geringem Maß vornüber gebeugt, weil das rechte Bein so hoch gestellt ist, daß es
den rechten Ellbogen leicht erreicht. Der Körper ist gleichzeitig nach rechts geneigt,
weil eben der rechte Arm das rechte Bein zur Stütze sucht. Das linke Bein ist ge-
streckt, ihm ist weniger Last übertragen, die Hauptmasse des Gewichtes ruht viel-
mehr auf dem rechten Sitzhöcker.
Die hintere Sitzlage ist durch das Niedergehen der Schwerlinie hinter die
Sitzhöcker charakterisiert. Das Hintenüberfallen wird verhindert durch Anlehnen.
So liegt man in einem Armstulil mit geneigter Riicklehne, die Beine gestreckt; sie
stützen sich auf den Boden, um im Falle des Abrutschens zum Stemmen parat zu
sein, oder sie sind übereinander gelegt.
Das Liegen. Es giebt verschiedene Erscheinungsformen des Liegens: der Schwer-
kranke im Zustand der Entkräftung liegt "anders, als der Schlafende, auch wenn beide
in derselben Lage sich beünden. Bei den Schwerkranken ist die Spannung der
Muskeln fast vollständigaufgehoben, die Glieder folgen dem Gesetz der Schwere, bei
dem Schlafenden besitzen dagegen die Muskeln einen beträchtlichen Grad von Span-
nung, wobei die Neigung zu Beugestellungen besonders hervortritt. Schon Bonnnm
hat angegeben, daß während des Schlafes die Glieder eine Neigung zu leicht ge-
beugter Haltung haben, aber auch der Rücken und der Nacken haben diese Neigung.
Man sieht Schlafende, die in der Seitenlage ganz in sich zusammcngekrümmt, mit
gebeugten Armen und an den Leib heraufgezogenen Beinen.
Die Bewegungen des menschlichen Körpers bieten einen reichen Wechsel und
spielen sich vor unseren Augen in unendlichen Verschiedenheiten ab. Es sei nur
an den Tanz erinnert, der bei den Europäern, wie so vieles, der Mode unterworfen
ist. Im Beginn dieses Jahrhunderts liebte man die graziösen und gemessenen Schritte,
jetzt wird ein lebhafteres Tempo beliebt und zahllos sind die Varianten bei den
Naturvölkern. Bei dem Tanz bewegt sich der Körper frei. Es giebt aber noch eine
sehr große Reihe von Bewegungen, wobei der Körper sich in einem Kampf mit
mechanischen Widerständen beündet: wie das Tragen, das Heben, das Niederlassen,
das Ziehen, das Drücken von Lasten. Dazu kommen Bewegungen, welche man mit
dem Namen Hieb, Stoß und Wurf bezeichnet. Endlich hat sich die ideale Kunst
noch eine Aufgabe gestellt, welche von der Natur nicht gelöst ist, nämlich fliegende
und schwebende Gestalten zu bilden, auf welche, wenn man sie sich als
existierend vorstellt, entweder die Schwere keine Kraft mehr ausübt, oder welchen
ein Bewegungsapparat (Flügel) angedichtet ist. WVir müssen uns mit dieser Andeu-
tung begnügen, und verweisen auf Hnnnnss und H. v. Mnrnn, welche diese Bewegungs-
arten und die dabei in Betracht kommenden Schwerpunktsfragen berücksichtigt haben,
und auf einige neuere Schriften, welche den Weg zeigen, auf dem wir neue und un-
erwartete Aufschlüsse erlangen werden.
HARLEss a. a. O. III. Buch. H. v. MEYER, die Statik und Mechanik des mensch-
lichen Knochengeriistes. Mit 43 Figuren in Holzschnitt. Leipzig 1873. L. Ouvrsn,
La photographie du mouvement. Revue scientifique 23 Dec. 1882. Nr. 26. Mit Photo-