Erster
Abschnitt.
müssen sie, wie z. B. bei dem WVinkelgelenk, durch eine sogenannte Gelenkachse
miteinander verbunden werden. Bei den Gelenken unseres Körpers spricht man zwar
von einer solchen, aber sie wird theoretisch angenommen, um durch ihre Richtung
den Gang zu veranschaulichen. In Wirklichkeit existiert sie nicht, nnd dennoch ent-
fernen sich unter normalen Verhältnissen die berührenden Flächen niemals voneinander.
Die Natur erreicht den Kontakt der Gelenkdächen:
1. durch den Luftdruck. Die Gelenkhöhlcn sind luftleer, wie neben anderen
Belegen namentlich ihre Entstehung beweist. Arme und Beine wachsen an der Seite
des Rumpfes allmählich hervor gleich Knospen. Dann beginnt unter der allseitig
geschlossenen Haut der Glieder zuerst die Bildung der Gelenke an bestimmten Punkten.
Später hilft der Muskelzug die Gelenkenden zu cylindrischen und kugelförmigen
Flächen zuzuschleifen. Ziehen die Muskeln z. B. ausschließlich an zwei sich gegen-
überliegenden Punkten des Gelenkes, so wird ein Winkelgelenk entstehen müssen,
bewegen sie aber den einen Knochen nach allen Seiten, so ist die Bildung eines
kugligen Gelenkkopfes unausbleiblich. Weder vor, noch nach der Geburt dringt
atmosphärische Luft in die Gelenke; alle Teile berühren sich, aneinander gedrängt
durch den Druck der äußern Luft. Nachdem dieser Druck auf einen Quadratcentimeter
Fläche ungefähr mit dem Gewicht von 1 Kilogramm preßt, so erleidet eine Gelenk-
flache von 20 Quadratcentimetern schon einen Druck von 20 Kilogrammen. Die Ge-
brüder Wnßnn haben an dem Hüftgelenk der Leiche bewiesen, daß der Schenkelkopf
in seiner Pfanne auch ohne Bänder und ohne Muskeln an seinem Platze bleibe, und
daß der Luftdruck vollkommen ausreiche, die Kugeliiächen der Pfanne und des
Schenkelkopfes in gegenseitiger Berührung zu erhalten. Zu dieser überraschenden
Leistung des Luftdruckes kommt
2. die Adhäsion, das ist die Erscheinung, daß glatte Flächen aneinander
haften, sobald sich eine dünne Schicht Flüssigkeit zwischen denselben befindet. Sie
lassen sich zwar verschieben, doch nicht abheben. Ganz dieselbe physikalische Wirkung,
wie hier das Wasser, hat zwischen den glatten Gelenkflächen die Synovia. Luftdruck
und Adhäsion werden also in dem Organismus mit eminentem Vorteil verwendet, weil
sie wirksam sind, ohne [auch nur den geringsten Kraftaufwand zu erfordern. Sie
äquilibrieren so vollständig das Gewicht der Glieder, daß wir von ihm nicht das ge-
ringste verspüren, daß die Beine in ihren Pfannen schwingen nach den Gesetzen eines
freihängenden Pendels, und daß die ganze Kraft der Muskeln für die Bewegungen
verwendbar bleibt. Zu diesen beiden unausgesetzt wirksamen Naturkräften kommt
überdies der Zug der über das Gelenk hinwegziehenden Muskeln.
Gelenkformeu.
In einem aus Kapsel, Hilfsbändern und glatten Knochen bestehenden
Gelenk hängt die Art der Bewegung von der Form der sich berührenden
Flächen ab. Man hat nun haupsächlich die Form als Einteilungsgrund
benützt, und unterscheidet Gelenke mit kugelförmigen Flächen! K11 gel- und
Nußgelenke, dann Gelenke mit schraubenförmigen Flächen: Winkel-
gelenke (Werk-Scharniere oder Kniegelenke); zusammengesetzte GeÄ
lenke, in denen sich drei oder mehrere Gelenkenden mit verschiedenen
Rotationsiiachen begegnen, und endlich ebene oder straffe Gelenke.
Diese beiden ersten Formen sind so allgemein bekannt, daß wir bei ihrer
Beschreibung auf mechanische Hilfsmittel des täglichen Lebens izum' Ver-
gleich hinweisen können.