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Siebenter Abschnitt.
Es ist der "unangenehme Zug um den Mund", den alle kennen. Man
hat dieses Emporheben der Unterlippe dem Kinnmuskel zugeschrieben.
Auf diesen Muskel paßt die von den alten Anatomen gewählte Bezeich-
nung „Muske1n des Stolzes", Musoulvl superbi. Das gleichzeitige Erweitern
der Nasenlöcher, wie es bei starker Ausatmung durch die Nase statt-
findet, trägt wesentlich dazu bei, den Ausdruck der Geringschätzung, des
Hochmutes und des Stolzes zu erhöhen.
Bei all diesen Wirkungen in der Muskulatur des Mundes treten an
der Nasenlippenfurche, die von der Ansatzstelle des Nasenflügels gegen
die Mundwinkel zieht und die Lippen von der Wangengegend trennt,
Veränderungen auf, die in einem schwer zu beschreibenden Herabziehen
bestehen, wobei die dreiseitigen Muskeln des Unterkiefers beteiligt sind.
Damit spannt sich gleichzeitig die Haut zwischen Augen- und Mund-
winkel und alle diese Umstände zusammen machen den Eindruck, als
sei das Gesicht verlängert.
Das Totalbild aller Vorgänge bei der leisen Regung der Gleichgültig-
keit, der Geringschätzung ist also ähnlich demjenigen, das bei dem Ab-
schluß grellen, unangenehmen Lichtes (halber Schluß der Lider, Zusam-
menziehen des Ringmuskels an Aug und Mund) auftritt.
Ohne die Mittelstufen zu berücksichtigen, wenden wir uns zur Schil-
derung der Ausdrucksbewegung bei dem vollen leidenschaftlichen Affekt
des Zornes. 1m Gesicht treten bei dem Zorn vier Muskelgebiete in
Kontraktion. Die Augen heften sich auf den Gegenstand, als wollten sie
ihn durchbohren, es sind die Augenmuskeln; welche den Bulbus gleich-
sam festschrauben „der stechende Blick" ergiebt sich dadurch. Von
den Muskeln in der Umgebung des Augapfels zieht sich der Brauen-
runzler stark zusammen, auch der Kreismuskel drängt seine Fasern mehr
zusammen. Die Lidspalte wird rundlich. Der Mund wird durch seine
Muskeln zusammengedrückt und die Nasenflügel werden gehoben. Die
Erregung springt auch auf die Kaumuskeln über, die Kiefer werden
aneinander gepreßt; die Anschwellung des äußeren Kaumuskels ist in
Form von einzelnen strangartig vertretenden Leisten seiner Muskelbündel
und der Spannung seines vorderen Randes wahrzunehmen. Auch der
Schläfenmuskel schwillt an. Endlich wird die ganze Körpermuskulatur
unwillkürlich in Erregung versetzt und der Mensch nimmt eine Stellung
ein, bereit zum Angriff oder zum Niederschlagen seines Gegners. Der
Kopf ist aufrecht, die Füße fest auf den Boden gestellt und in forcierter
Streckung. Die Arme sind entweder gleichfalls in forcierter Streckung,
oder etwas gebeugt und dabei nach vorn gerichtet. Bei Europäern
werden gewöhnlich die Fäuste geballt. Die Haltung der Brust ist dabei
ganz charakteristisch, sie ist in einem weit stärkeren Grade mit Luft
gefüllt, als während der ruhigen Stimmung, so daß der Thorax erhoben
ist. Voll aufgebläht trägt er wesentlich dazu bei, den Eindruck physi-