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Siebenter Abschnitt.
kreuzt. Diese Formen der Andacht sind von der Menschheit erst allmählich ent-
wickelt und erlernt worden; aus einer ursprünglich gewollten Ausdrucksbewegung
wurde eine reflektorische. Bei vielen Naturvölkern ist nichts der Art zu finden, was
wir mit dem Ausdruck "Andacht" bezeichnen könnten.
Wie die Kultur Ausdrucksformen für den Affekt der Andacht ge-
schaifen hat, und die Gebärden sind noch mannigfaltiger als die be-
schriebenen so bemächtigt sich oft der Wille einzelner Bewegungen,
sei es, um sie für bestimmte Affekte zu verwenden, sei es, um einzelne
Bewegungen zu unterdrücken. Der Kulturmensch richtet den Ausdruck
seiner Affekte nach dem anderer Menschen, von denen er sich beobachtet
weiß, und sucht die Gebärden dieser Rücksicht anzupassen. Er lernt es
nach und nach, gewisse Aifekte durch Unterdrückung der Reflex-
bewegungen zu verbergen, oder unter Umständen andere, geradezu ent-
gegengesetzte hervortreten zu lassen. Die Erziehung und die Über-
legung sind hier von großem Einfluß. Wer sich das nil admimri
nichts ist der Bewunderung wert -izum Grundsatz gemacht hat, der
vermag schließlich jedes Zeichen des Erstaunens bei dem ersten Auf-
tauchen zu unterdrücken, und sein Gesicht bewahrt stets dieselbe kühle
Ruhe. Er scheint gleichgültig, selbst gelangweilt, ohne es in Wirklich-
keit zu sein. Das konventionelle Lächeln in der Gesellschaft und die
mancherlei Höflichkeitsgebarden sind bald moderierte, bald übertriebene,
bald willkürlich fingierte Äußerungen. Dieser Einfluß des Willens wird
aber in der Regel ohnmächtig, wenn die Gemütsbewegung zu hohen
Graden anwachst. Auch gelingt es ihm meistens nur das Innere zu ver-
schleiern, selten es ganz zu verhüllen, da die innere Bewegung mit der
Macht einer Naturgewalt sich zu äußern strebt und dies unfehlbar thut,
sobald die Aufmerksamkeit auf das Ich erschlafft und die Starke des
Affektes den zügelnden Einfluß des Willens durchbricht.
Die Umgebung des Auges hat, wie schon in der Muskellehre aus-
einandergesetzt wurde, die Fähigkeit, durch kürzeren oder längeren Schluß
der Lider das Licht fern zu halten und den Augapfel zu schützen. Das
Verfahren, das die Natur dabei einschlägt, ist folgendes: Soll der Zufluß
des Lichtes abgeschwächt werden, so senkt sich das obere Lid, das untere
steigt etwas in die Höhe. Soll grelles Licht, das dem Auge Schmerz
verursacht, abgehalten werden, doch so, daß der Blick auf die Umgebung
frei bleibt, so nähern sich nicht nur die Lidränder, sondern der ganze
Ringmuskel tritt in Aktion. Die Haut aus der Umgebung des Augen-
höhleneinganges zieht sich zusammen, namentlich bethätigt sich dabei der
Augenbrauenrunzler, wodurch das Auge von oben her beschattet wird.
Dabei erscheinen Längsfalten über der Nasenwurzel, welche die Wirkung
des Brauenrunzlers besonders deutlich erkennen lassen; selbst die Haut
vom Rücken der Nase her und von der Umgebung des unteren Augen-
höhlenrandes hebt sich. Die Sehachsen konvergieren, ein Beweis, daß