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Siebenter Abschnitt.
kugel des Augapfels, namentlich derjenige der stärker gekrümmten Horn-
haut durch die Lider hindurch erkennbar ist. Das entscheidende Merk-
mal bleibt der Ort des höchsten Lichtes auf den geschlossenen Lidern.
Im Schlaf rollt das Auge nach aufwärts, und verbirgt sich nach
oben unter dem Augendeckel. Es ist das lebendige Übergewicht des
oberen geraden Augenmuskels, der die Kugel nach oben dreht.
Gleichzeitig wird sie durch den inneren geraden Muskel etwas nach
innen gestellt. Bei Menschen, welche mit dem Schlafe kämpfen, läßt
sich diese Bewegung des Auges leicht beobachten. Das Licht des schla-
fenden Auges beündet sich demnach nach oben und innen, als 0b seine
Sehachsen einen nahen Gegenstand fixierten. Bei dünnem Lid laßt sich
die Wölbung der Hornhaut deutlich sehen.
Das tote Auge ruht im Parallelismus der Sehachsen. Der Tod
überlaßt die Augen der physikalischen Elastizität ihrer Muskeln, welche
vermöge ihrer Anheftungsweise und wegen des gleich starken Zuges das
Auge in der Horizontalebene des Kopfes einstellen. Bei dem Toten be-
findet sich deshalb das höchste Licht dicht an dem Lidspalt.
]n den bisher betrachteten Fällen ist der lebendige Muskelzug oder der Tod der
sichere Beherrscher der Augenstellung. Allen bisher mitgeteilten Regeln spottet das
weintrunkene Auge. Infolge der Erschlaffung des Muskels sinkt das obere Lid
halb herab, die Augenachsen neigen sich stark gegeneinander, und erzeugen durch
diese Stellung UndeutlichkeiUdes Sehens. Durch die Wirkung des Alkohols ist der
Einiiuß des Willens auf die Zusammenziehung der Muskeln des ganzen Körpers un-
regelmäßig, er kommt verspätet an, oder die Zusammenziehung ist bald nicht hin-
reichend kräftig, bald zu übermäßig. All, das, was die Physiologie als Muskelgefühl
bezeichnet, ist in Unordnung geraten und der ganze Mechanismus der Nervenleitung
ist alteriert. Deshalb die Unbehilflichkeit in dem ganzen Muskelsystem, die bekannte
Unsicherheit des Ganges, sowie jeder anderen Bewegung.
Ahnlich willenlos, aber bei parallelen Sehachsen, ist das Auge bei völliger
Gedankenlosigkeit. In der Ohnmacht, in der die geistige Kraft gelähmt ist, starrt
der gläserne Blick bewegungslos in derselben Stellung ins Leere, während bei dem
ungebändigten Lachen das Auge eine und dieselbe Zügellosigkeit der Bewegungen
ergreift, welche in den Gesichts- und Atemmuskeln herrscht. Die Bestimmtheit des
Blickes in der genauen Fixierung dessen, was gesehen werden soll, zeichnet die
Physiognomie des Mannes aus, der die Bestimmtheit des Handelns besitzt.
Gebärdenspiel
des
Gesichtes.
Der Ausdruck der Gemütsbewegungen im Antlitz gliedert sich für
die Beschreibung am besten nach den Hauptgruppen der Muskeln in der
Umgebung von Mund und Auge. Dabei lassen sich gleichzeitig die Kate-
gorieen, welche in dem psychologischen Gegensatz der Lust- und Unlust-
aifekte liegen, zu einem ansehnlichen Teil berücksichtigen. Wenn bei den
Erörterungen des Gebärdenspieles im Antlitz auch die Ausdrueksbewegungen
des ganzen Körpers angedeutet werden, so geschieht es, um das Bild der
verschiedenen Affekte abzurunden.